Sie haben sich richtig verhört
GRAZ / FUX-WETTBEWERB / URAUFFÜHRUNG
13/10/20 Reiner Zufall. Im Fernsehen bekundeten die zahlreichen Gewinner der Wien-Wahl grad noch ihre Begeisterung über sich selbst, da ging der Zirkus auch schon weiter: Floskeln und Gesten dichterisch und musikalisch und technisch verfremdet, raffiniert verwoben in ein packendes Kammerspiel um Sprache und Manipulation auf dem zeitlosen Forum der Macht und ihrer Haber: Populus.
Von Heidemarie Klabacher
Marktplatz? Pranger? Siegespodest oder Richtstätte? Das Faszinierende, Verunsichernde und genau deswegen Begeisternde an der Oper Populus von Peter Jakober und Ferdinand Schmatz ist dieses Volatile, dieses schillernd sich Entziehende: Da wollen zwei Künstler, Komponist und Dichter, zusammen mit einem grandiosen Ensemble, Finger in offene Wunden legen – und kein Heilmittel bereitstellen. Schon gar kein All-Heil-, nicht einmal ein Desinfektions-Mittel, um die Kratzer zu behandeln, die sie einander und ihrem Publikum zufügen.
… halten Sie sich frei, der Weg, der sich da anbietet, muss nicht der Ihre sein, Sie sind ja Freie, so wie wir alle Freie sind am Anfang, unter gleichen Verhältnissen geschaffen, Frühling, Sommer, Herbst und Winter, klassenlos ... doch so und dann ja irgendwann – das nenne ich das Auf-Verstehen aus dem Herumverstehen, es haucht was hinein, und so sind wir alle gleich, und dennoch ungleich auch wenn es Unterschiede unter uns Freien gibt, dann nicht nur die von der Natur selbst gemachten, sondern jene, die auf Ihre Weise vom Herumverstehen zum Auf-Verstehen entstehen...
Ferdinand Schmatz hat das Libretto zu Populus geschrieben. Keine Textfläche, mehr einen Textfluss, dessen Partikel - je nach Strömungsgeschwindigkeit der Musik von Peter Jakober - in Marmor gehauenes Programm (von Rechten und Pflichten und dem Bekenntnis zu ehrlicher Leistung) oder ironisch flackerndes Sprachspiel in der Tradition der Wiener Gruppe bilden. Allein die Schluss-Sequenz, ein Spiel mit Worten wie DORF, WAND, FORT, ORT oder TOR... ergibt faszinierende Botschaften zwischen DORF RAND und FORT WAND.
All diese Dynamiken haben ihre Quelle und ihre Entsprechung in der vor allem auf Rhythmen und deren Verschiebung bauenden Musik von Peter Jakober. Musik und Sprache gehen in diesem Meisterwerk eine tatsächlich amalgamhafte Verbindung ein. Die eine braucht zwingend die andere.
Verteilt sind Text und Musik auf einen Sprecher (Christoph Gerhardus als eine Art dämonischer Zirkusdirektor von der Zauberinsel), zwei Sängerinnen (Camille Elise Primeau und Christine Rainer), zwei Sänger (Felix Heuser und Yichen Gao), zwei recht diabolische stumme Clown-Schergen und ein zehnköpfiges Instrumentalensemble unter der Leitung von Dimitrios Polisoidis. Wesentlichen Anteil hat eine quasi gleichberchtige Schar von Technikerinnen und Technikern. Diese lassen die scheinbar „analogen“ Ereignisse auf dem Zentral-Podest und den vier Neben-Podesten mit allen Mitteln digitaler Kunst ins Virtuelle, ja teils ins Nicht-Visuelle (aber dazu hätte man sein Handy zücken müssen) kippen.
Regisseur Christoph Zauner hat im Bühnenbild von Andrea Meschik einen Kosmos des Miteinanders sich entwickeln lassen, der durch modernste Technik (Video Chris Ziegler) scheinbar unendlich erweiterbar, doch zugleich auf archaisch-menschliches sich aneinander Abarbeiten konzentriert ist. Die Musik von Peter Jakober ist Motor und Träger dieser unruhevollen Ereignisse, ein unruhevolles Pulsieren, dessen Grundschläge sich immer wieder gegeneinander verschieben, überlagern und neu gegeneinander ankämpfen. Das ist verunsichernd in Momenten der scheinbaren Ruhe, die immer wieder aufgestört wird.
Populus ist das Preisträgerwerk des 7. Johann-Joseph-Fux Opernkompositionswettbewerbs 2018 des Landes Steiermark. Uraufführung und Preisverleihung an den Komponisten Peter Jakober war im Rahmen des Musikprotokolls des Steirischen Herbst am Sonntag (11.10.) in der Kunst Universität Graz.