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Die dunkle Welt ist eine helle Scheibe

GRAZ / REINEKE FUCHS

08/10/20 Goethe, der Karrierist? Jedenfalls hat er, der als 26jähriger an den Weimarer Hof kam und sieben Jahre später Minister und quasi zweiter Mann im Staate war, sehr genau gewusst, wie Karriere geht. Sein Lehrstück dazu: Reineke Fuchs, nun dramatisiert im Grazer Schauspielhaus.

Von Reinhard Kriechbaum

Nett ist das eifersüchtig-ironische Statement über Goethe von Johann Gottfried Herder 1782: „Er ist jetzt also Wireklicher Geheimer Rat, Kammerpräsident, Präsident des Kriegscollegii, Aufseher des Bauwesens bis zum Wegbau hinunter, Direktor des Bergwerks, dabei auch directeur des plaisirs, Hofpoet … Direktor der Zeichen-Akademie … selbst überall der erste Akteur, Tänzer, kurz das Factotum des Weimarischen und, so Gott will, bald der Majordomus sämtlicher … Häuser, bei denen er zur Anbetung herumzieht.“

Wenn auch das Versepos Reineke Fuchs (1793) als Fabel und altväterlich in Hexametern daher kommt: der 44jährige Goethe hatte Intimkenntnis, wie man sich nach oben arbeitet und wie man sich oben hält. Das ist zeitlos, und die Regisseurin Mina Salehpour arbeitet die Aktualität zielstrebig heraus. Der schlaue Fuchs, der sich nun wahrhaft schweinisch aufführt, doch mit sagenhafter Eloquenz stets seinen Kopf aus der Schlinge zieht und alle anderen alt aussehen lässt, dieser Fuchs kommt uns in der logischerweise radikal verdichteten Bühnenversion als der Ur-Typ des Populisten daher.

Alexej Lochmann ist in der Grazer Aufführung dieser gerissene Kerl, der über Leichen geht. Nicht nur über Hühnerleichen, von denen dann nur noch die Krallen übrig sind. Er tut ohne moralische Bedenken einfach alles das, wovon die Menagerie der Höflinge aus Anstand und Gesetzestreue lässt. Alexej Lochmann und die Regisseurin zeichnen Reineke nicht als smarten Schleimer, der auf Sympathie setzt: Dieser Reineke ist ein pfundiger, offensichtlich selbstsüchtiger Besitzergreifer. Er schafft alternative Fakten und argumentiert sein frivoles Tun mit kecker Selbstverständlichkeit: „Durch die Welt zu helfen ist ganz was Eigenes; man kann sich nicht so heilig bewahren als wie im Kloster … handelt einer mit Honig, er leckt zuweilen die Finger.“ Trump und Konsorten lassen grüßen.

Populisten dieses Zuschnitts können ruhig die Erde zur Scheibe erklären. Einer solche kreisrunde weiße Kreisfläche, die schon mal gehörig in Schieflage kommen kann, hat Bühnenbildnerin Andrea Wagner bereit gestellt. Kein Ausstattungsstück sonst. Jede Ranküne des Reineke Fuchs ist immer allen offenkundig. Sie alle geben eine zeitlose höfische Gesellschaft ab, tragen schwarze Anzüge und weiße Hemden. Auf den Brustteil sind die jeweiligen Tiere gemalt. Mit viel Liebe ist ein Mikrokosmos animalischer Eigenschaften herausgearbeitet, unaufdringlich, wie nebenher. An all diesen Leuten sieht man die gelebte Hilflosigkeit. Sie zeigen uns, wie man einem Outlaw wie Reineke nicht als kraftvoller Bär (Matthias Lodd) und nicht als anpasslerischer Hase (Raphael Muff) beikommt – um nur zwei aus dem vielköpfigen Panoptikum der höfischen Fauna zu nennen.

Und Nobel (Oliver Chromik) und Noblesse (Beatrix Doderer), das Regentenpaar? Hoffnungslos schwach steht der Regent des Staates da, der vor aller Augen von innen heraus ausgehöhlt wird. Gegen einen Populisten wie Reineke ist kein Kraut gewachsen, das ist die unangenehme Botschaft. Am Ende wird der Erzschurke Berater des Königs, sprich: eine Art Chefideologe des von ihm zu Tode gebissenen Rechtsstaates.

So fluffig, spielerisch, charmant diese Aufführung daher kommt: Die Regisseurin sorgt auch zielstrebig dafür, dass einem die Grausbirnen aufsteigen.

Aufführungen bis 26. November – www.schauspielhaus-graz.com
Bilder: Schauspielhaus Graz / Lex Karelly

 

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