Millionen Götterfunken analog und digital
NATIONALBIBLIOTHEK / BEETHOVEN
30/12/19 „Der Copist der die 3 und 6 hier hinein gemacht war ein Esel“ – eine zornige Notiz Beethovens, mit Rötelstift in die eigenen Noten der Frühlingssonate geschrieben. Ein besserwisserischer Kopist wollte Triolen erkennen, wo keine sind. Ob der vermeintlichen „Verbesserung“ war Beethoven verschnupft.
Von Reinhard Kriechbaum
Autographe von 13 Kompositionen Beethovens besitzt die Österreichische Nationalbibliothek. So etwas legt man nicht einfach so in Vitrinen. Konservatoren haben ein Wörtchen mitzureden. Immerhin: Besagte Seite mit dem Eintrag des Meisters ins eigene Manuskript ist tatsächlich im Original zu sehen, sowie das Violinkonzert oder die Ouverture Zur Namensfeier. Die Uraufführungs-Partitur des Fidelio (eine Kopistenhandschrift) enthält originale Eintragungen des Komponisten. Vieles zeigt man im Prunksaal der Nationalbibliothek aus denkmalschützerischen und wohl auch aus versicherungstechnischen Gründen nur als Faksimile, so das das Heiligenstädter Testament oder den Brief An die ferne Geliebte. Ein überraschend unauffälliges, blässliches Blättchen übrigens für die der Nachwelt unbekannte Dame, die Beethoven mit „Mein Engel, mein alles, mein Ich“ anhimmelte.
Mit dem Ausstellungstitel Menschenwelt und Götterfunken wollten die Ausstellungsmacher ansprechen, dass man tunlichst nicht nur aufs Notenpapier schauen soll. Wer genügend Lesebereitschaft mitbringt (für die Transkripte, Beethovens handschriftliches Gekrakel ist ja kaum zu entziffern), findet tatsächlich Aufschlussreiches über den Menschen Beethoven. Der Schöpfer der Neunten war ein Erbsenzähler und hat im Haushaltsbuch kleinkrämerisch die Ausgaben für Rientfleisch, Mährg (Markknochen), Löhber (Leber), Lienssen oder Rum (Rahm) aufgelistet.
Solche Dinge wünschte man sich so aufbereitet, dass sie den Besuchern wirklich ins Auge fallen. Was die Inszenierung anlangt, hat auch das Atelier Wunderkammer nicht zaubern können oder dürfen. Im Prunksaal der Nationalbibliothek gehen offenbar nur schlichte Vitrinen und Texttafeln. Dort, wo man auf eine Doppelseite aus dem Schlusssatz der Neunten Symphonie stößt, hängt viel güldene Metallfolie an Bändern vom Plafond. Ein Anflug von Sterntaler, schließlich ist jene Stelle der Partitur aufgeschlagen, wo die Textzeile Freude schöner Götterfunken und Seid umschlungen Millionen aufeinander treffen. Die Sterntaler sind übrigens fünf Jahre vor Uraufführung der Neunten in der Grimm'schen Märchensammlung gelandet. Hätte man irgendwo hinschreiben können, wenn man schon optisch so fuhrwerkt.
Werden die Goldfolien abmontiert, wenn das Autograph der Neunten vorzeitig (am 9.März) aus Erhaltungs-Gründen wieder im schonenden Dunkel der Staatsbibliothek Berlin verschwindet? Sie besitzt die Partitur, die seit 2001 zum Weltdokumentenerbe der UNESCO rechnet und jetzt das erste Mal in Österreich zu sehen ist.
Ein paar Hörstationen gibt es, zum Beispiel zur Handschrift des Abendlieds unter dem gestirnten Himmel eine Aufnahme mit Dietrich Fischer-Dieskau. Gut, denn im Gegensatz zur Ode an die Freude wird ja kaum jemand das Klavierlied (WoO 150) – im Ohr haben. Nett, wie sich der allmählich ertaubende Beethoven Wellingtons Sieg vorgestellt hat. Für die Kanonenschüsse dachte er an zwei große Trommeln, mindestens „5 Wiener Schuh ins Gevierte“. Das liest sich beeindruckend, sind aber nur 160 cm im Durchmesser. In der umfänglichen Aufführungsanleitung zu Komposition findet sich allerlei lärmendes Theater-Brimborium, deshalb tunlichst für „Männer von Einsicht“ gedacht.
Ins Kuppelzentrum des Prunksaals hat man ein kubistisch zerlegtes Beethoven-Porträt im Bild: Die Totenmaske liegt da, die posthume Huldigung setzte postwendend ein. Ein vielsagendes Blatt ist jene Lithografie von Josef Kriehuber nach einem Gemälde von Josef Karl Stieler, die den Meister an der Missa solemnis schreibend zeigt. Das Blatt (um 1840) ist durch einen aufgeklebten getrockneten Lorbeerzweig aus Beethovens Sterbezimmer gleichsam authentisch geadelt. Vielsagend auch der Stich Die Intimen bei Beethoven – Freunde haben sich versammelt und hören ziemlich konsterniert zu, was der Meister ins Klavier hämmert.
Anlässlich des Gedenkjahrs 2020 (250. Geburtstag) hat die Nationalbibliothek ihre Beethoven-Bestände vollständig digitalisiert ins Internet gestellt. Die Werke werden in drei Sammlungen der Österreichischen Nationalbibliothek verwahrt: In der Sammlung von Handschriften und alten Drucken liegen über 130 Originalbriefe Beethovens, in der Musiksammlung befinden sich 13 Originalhandschriften seiner Kompositionen und eine beeindruckende Sammlung mit Erst- und Frühdrucken von Beethovens Werken. Letztere umfassen insgesamt 941 Bände mit über 43.000 Seiten und sind Teil der Sammlung Anthony van Hobokens – eine der weltweit größten Sammlungen ihrer Art und seit 2016 auf der nationalen UNESCO-Liste des Weltdokumentenerbes „Memory of Austria“. Über tausend Objekte aus Bildarchiv und Grafiksammlung wie Beethoven-Portraits, Plakate zu Ausstellungen und Konzerten, Fotos von Beethoven-Denkmälern und Druckgrafiken wie das berühmte Blatt Beethoven bei Mozart runden das Portal Beethoven digital ab.