Turbo-Travestie um die Weltformel
GRAZ / DIE PHYSIKER
30/10/19 Einstein flitzt auf Rollschuhen durchs Psycho-Sanatorium, Möbius legt im Trainingsanzug eine tolle Breakdance-Nummer hin. Aber was dem Fass die Krone ins Gesicht schlägt: Alle drei Physiker sind weiblichen Geschlechts. Auch sonst: ein hundertprozentiger Gendertausch in Sachen Dürrenmatt im Grazer Schauspielhaus.
Von Reinhard Kriechbaum
Regisseurin Claudia Bossard hat nicht nur die drei Hauptfiguren in Friedrich Dürrenmatts Klassiker geschlechtsverwandelt: Bis in die kleinste Rolle hat sie alles gendermäßig auf den Kopf gestellt: Um die drei Physiker(innen) bemüht sich ein männliches „Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd“. Iin der grünen Arbeitskleidung der Krankenschwestern stecken ebenso Männer, auch in der altrosafarbenen Hose der Frau Rose, die tatsächlich mit Rose vorbei schaut, um ihrem (Ex)Mann Möbius Lebewohl zu sagen. Dafür ermitteln zwei Damen als Kriminalinspektor Voss und Blocher in dem wüsten Kriminalfall um die beiden erdrosselten Krankenschwestern.
„Zuerst hatte ich einen Irrenarzt konzipiert. Dann begriff ich, daß der streng logischen Welt der drei Physiker nur eine verrückte Frau gegenüberstehen kann. Wie ein verrückter Gott, der sein Universum gestaltet.“ Das sagte Friedrich Dürrenmatt einst zum Geschlechtertausch, den er selbst der vierten (vielleicht eigentlichen) Hauptfigur hatte angedeihen lassen. Claudia Bossards Crossgender-Methode drängt sich dennoch nicht auf. Die Physiker sind nun wirklich bizarr genug und wohl nicht wirklich das Material, um quasi nebenbei Geschlechterklischees auf den Prüfstand zu stellen. Da wird Dürrenmatts Klassiker etwas aufgepfropft.
Aber die Regisseurin ist ohnedies angetreten, um ordentlich an jenen Schrauben weiter zu drehen, die aus der Komödie eine Groteske, letztlich eine Farce machen. Es wird mit Popmusik-Zitaten ebenso ausgiebig hantiert wie mit solchen aus dem Filmgenre. Das Ergebnis ist ein Turbo-Theater auf pausenloser Langstrecke (zwei Stunden zwanzig Minuten), das sein Publikum gewiss nicht langweilt mit des Gedankens Tiefe. Eine rechte Textflut (mit allerlei Aktualisierungen und Einschüben) führt eher zur Phrasen-Überschwemmung denn zu deutendem Profil. Banalität als Keule hat Ivan Nagel einmal ein Feuilleton über Die Physiker betitelt – in Graz wird die Keule von Claudia Bossard mächtig geschwungen.
Für das Ensemble freilich ist gerade die Überfrachtung eine Herausforderung, die alle lustvoll aufgreifen. Wer Lust auf Travestie hat, ist goldrichtig in dieser Aufführung. Sarah Sophia Meyer als Möbius, Tamara Semzov als Einstein und Julia Franz Richter als Newton: Solche Typen muss man erst mal bei der Hand haben, auch Andri Schenardi als Fräulein Doktor oder Frieder Langenberger als Schwester Monika.– fast fühlt man sich als Spaßverderber, wenn man da doch ein paar Gedanken-Pausen herbei wünschte. Aber allemal das Fazit: So angejährt wie befürchtet sind Die Physiker nicht, wenn man's so hyperventilierend angeht.
Aufführungen bis 23. Jänner 2019 im Schauspielhaus Graz – www.schauspielhaus-graz.com
Bilder: Bühnen Graz / Johanna Lamprecht