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Rasante Komödie der Doppelmoral

BAD ISCHL / LEHÁR FESTIVAL / CLO-CLO

12/08/19 Franz Lehárs wohl unbekannteste Operette, Clo-Clo, wurde am 10. und 11. August beim Lehár-Festival in Bad Ischl semikonzertant aufgeführt. Ein rauschender Erfolg für ein wieder entdecktes Kleinod – und den frechsten Lehár, den es gibt.

Von Gottfried Franz Kasparek

Eigentlich war der Meister schmelzender Melodik schon unterwegs zu opernhaften Höhen, als er 1924 Béla Jenbachs Farce Clo-Clo komponierte. Der Erfolg in Wien war zunächst groß, die Kritiken waren glänzend, aber das Stück setzte sich nie im Repertoire durch. Außer in Italien. Kollege Puccini vermerkte dazu: „Eine der inspiriertesten Instrumentationen der letzten zehn Jahre“. Dies mag das Problem des Stücks ansprechen. Auf wirkliche Ohrwürmer wartet man, bei aller Qualität der Erfindung, nämlich vergebens. Dafür entschädigt die eigenwillige Mischung aus dezent jazzigen Rhythmen für Symphonieorchester, aufs Feinste ziselierten Klängen und mitreißender Tango-, ja sogar Blues-Aneignung. Grandios sind die großen Finali gestaltet, die an eine moderne Buffo-Oper denken lassen. Und Nummern wie „Kinder, es ist keine Sünde, verliebt zu sein…“ oder „Wenn man über Fünfzig ist…“ bezaubern mit ihrer duftigen Leichtigkeit, die jäh in leuchtend sinnlicher Farbigkeit explodieren kann.

Das Orchester mit vielen exquisiten Soli lacht gleichsam wie sonst nur in der Lustigen Witwe. Das an Feydeau, aber auch an Maupassant erinnernde Spiel mit der Doppelmoral des Bürgertums ist übrigens eine Kammeroperette, es gibt nur einen kleinen Chor, kein Ballett, kein Buffopaar und auch nicht die übliche Liebeskrise am Ende des ersten Akts.

Clo-Clo, eine umschwärmte junge Pariser Tänzerin, ist kein Kind von Traurigkeit. Sie lässt sich ihr Leben von einem älteren Herrn und Bürgermeister aus der Provinz, den sie Papa nennt. mit viel Geld versüßen. Konfrontiert mit der ihre Gelüste hinter Prüderie versteckenden Gattin des Galans, spielt sie, verwandelt in eine naive Babette, in der Tat eine uneheliche Tochter, die noch dazu wegen einer Ohrfeige, die sie einem skurrilen Polizisten gegeben hat, steckbrieflich gesucht wird. Dies ist der Stoff für eine rasante und lustvolle Komödie, die damit endet, dass Clo-Clo den Polizisten und gleich auch einen ordenbehängten Minister mit ihrer offensiven Erotik um die Finger wickelt und mit dem jungen Mann, den sie wirklich liebt, zusammenkommt. Der reife Sponsor darf sich wieder die obligaten zwei Ohrfeigen bei seiner Frau abholen. Der zwischen Geilheit und Verklemmung pendelnde Klavierlehrer findet vielleicht in der Bürgermeisterin seine Erweckerin.

Regisseur Markus Kupferblum, der experimentelle Wiener Theatermacher, hat eine spürbare Liebe zur Kunstform Operette. Er gibt dem Affen Zucker, aber nie zuviel und führt die Personen mit komischer Energie. In bewährter Ischler Art ergibt sich ein belebtes Spiel vor dem auf der Bühne befindlichen Orchester, in der 1920er-Jahre-Ausstattung von Toto und in einer klug gekürzten Sprechtextversion von Jenny W. Gregor. Die im Original langwierigen Sprechszenen werden zum Teil von Frank Voß pointiert erzählt. Dagegen ist die Musik komplett original. Marius Burkert beweist sich wieder einmal als perfekter Operettendirigent und holt aus dem aufgestockten, famosen Franz Lehár-Orchester berückende Farbwerte und rhythmischen Biss. Der von Gerald Krammer einstudierte Kammerchor, Clo-Clos Verehrer und Kolleginnen darstellend, besteht aus lauter treffsicher gezeichneten Typen und singt akkurat.

Das Gesangsensemble besteht großteils aus gestandenen Opernleuten, die allesamt bestechendes Gespür für Operette entwickeln. Von Sieglinde Feldhofer, der Clo-Clo mit bezauberndem Sex appeal, schalkhaft erotisierenden Zwischentönen und strahlkräftigem Sopran, weiß man das ja. Gerd Vogel, immerhin ein beliebter Don Giovanni oder Klingsor zwischen Halle und Dormund, ist mit hellem Kavaliersbariton der Galan Severin und kein komischer Alter, sondern durchaus ein Mann in den besten Jahren und wahrlich ein schräger Vogel mit seiner schönen Glatze, die bekanntlich auch ein Sexsymbol sein kann. Seine Gattin Melousine (sic!) erhält durch Susanna Hirschler Diseusenqualität und Matronenkomik, die plötzlich in Lüsternheit umschlagen kann. Der virile Spieltenor Ricardo Frenzel Baudisch als Klavierlehrer Chablis und der gepflegte Tenorlyriker Daniel Jenz als schließlich erfolgreicher Liebhaber Maxime stellen ihre Männer mit Bravour. Eine Nummer für sich ist Matthias Störmer, auch als Papageno und in neuen Opern gefragt. Sein kurioser, clownesker und sehr französischer Polizist lässt an Komiker wie Louis de Funès denken.

Am Ende gab’s noch eine pfiffige Zugabe, ein weiteres Lied Clo-Clos, das Maestro Burkert in einer Kiste im Lehár-Archiv in Ischl entdeckt hat. Samt Orchesterstimmen. Es wird höchste Zeit, das beeindruckende Oeuvre Franz Lehárs wissenschaftlich aufzuarbeiten.

Clo-Clo wurde von Label cpo mitgeschnitten und wird 2020 auf CD erscheinen. Das Lehár-Festival in Bad Ischl dauert noch bis 31. August – www.leharfestival.at
Bilder: Lehár Festival / Foto Hofer

 

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