Tödliche Eifersucht zum Saisonfinale
WIEN / STAATSOPER / OTELLO
21/06/19 Rund 85.000 Besucherinnen und Besucher pilgerten am Donnerstagabend (20.6.) zum Sommernachtskonzert der Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Gustavo Dudamel, weshalb bereits am Nachmittag die letzte Saisonpremiere an der Wiener Staatsoper stattfinden musste: Giuseppe Verdis 1887 uraufgeführter Otello.
Von Oliver Schneider
Nicht einmal zwei Stunden lagen zwischen den beiden Veranstaltungen. Wer die Wahl hatte, hatte die Qual. Oder man machte es wie einige Orchestermitglieder, die aus dem aufgeheizten Operngraben in den nach einem heftigen Gewitter leicht abgekühlten Schlosspark Schönbrunn weiterzogen.
Mit Adrian Noble für die Regie schwenkt die aktuelle Staatsoperndirektion nach Orest und der Frau ohne Schatten wieder auf den reinen Bebilderungs-Kurs ein. Ein paar verschiebbare Wände ermöglichen Ortswechsel. Verlegt wird die Handlung aus dem 16. Jahrhundert, als Venedig über Zypern herrschte, in die letzte Hochblüte der Kolonialzeit um die vorletzte Jahrhundertwende herum, um die Spannungen zwischen der Kolonialmacht und der lokalen Bevölkerung beleuchten zu können. Das gelingt allerdings nur sehr bedingt und man muss sich auch fragen, ob das Eifersuchts- und Neiddrama das richtige Werk ist, um dieses Thema herauszuarbeiten.
Venedigs Löwe auf einem sonst weißen Vorhang fällt gleich zu Beginn des Abends im Gewittergetöse zu Boden, den Kampf der von Otello angeführten Venezianer gegen die Osmanen sieht man als Schattenspiel hinter einem weißen Vorhang, wozu die von Thomas Lang gut vorbereiteten Chöre (Staatsopernchor, Extrachor und zum Teil schon der Kinderchor) mächtig an der Rampe intonieren. Während die exilierten Kolonialdamen und -herren in schwarzen, schweren Kleidern aus der Zeit (Ausstattung: Dick Bird) auf Zypern schwitzen müssen, erscheint Otello im weißen Kaftan. Was ihn als Außenseiter charakterisiert – genau wie seine leicht dunklere Hautfarbe.
Bis zur Pause nach dem zweiten Akt dominiert längst überwundenes Stehtheater, das aber zumindest durch den herzig singenden und spielenden Kinderchor im Matrosen-Look aufgelockert wird und durch Jagos pervertiertes Glaubensbekenntnis „Credo in un dio crudel/Ich glaube an einem grausamen Gott“ spannungsvoll unterbrochen wird. Hausdebütant Vladislav Sulimsky gestaltet die Szene mit rabenschwarzem, metallischem Heldenbariton und zeigt auch, dass er schauspielerisch zu deutlich mehr in der Lage wäre, wenn er von der Regie unterstützt würde. Aber auch so nimmt man ihm ab, dass dieser Jago aus gekränkter Eitelkeit wegen Cassios Bevorzugung durch Otello zu jedem Hinterhalt bereit ist, um sich für ein scheinbar erlittenes Unrecht zu rächen.
Aleksandrs Antonenko in der Titelpartie kämpft sich hölzern agierend mit seinem farbenarm wirkenden Tenor und einem Hang zum Einheitsforte durch die ersten beiden Akte und kann erst im dritten Akt von seiner Rollenerfahrung profitieren. Längst hat Jagos Gift seine Eifersucht so befeuert, dass er nicht mehr Herr seiner Sinne ist, wenn er seine immer beherrscht wirkende Gattin Desdemona nach dem verhängnisvollen Taschentuch fragt. Olga Bezsmertna verleiht ihr die ihrem Charakter innewohnende Stärke, um schlussendlich auf dem Todesbett ihren Gatten sogar von seinem Mord freizusprechen. Stimmlich punktet sie im Liebeduett mit Otello im ersten Akt mit ihrem runden und auf einem angenehmen Grundvibrato ruhenden Sopran sowie vor allem dann im Schlussakt mit ins Herz treffenden Pianophrasen.
Hier erreicht auch die Inszenierung den Moment der größten Dichte, weil die Protagonisten voll in ihren Rollen aufgehen. Um das Ehebett herum hat Bird ein Meer von brennenden Kerzen geschaffen, sodass Desdemonas Verabschiedung von Emilia noch mehr Nachdruck erhält. Margarita Gritskova gibt ihr Rollendebüt als Desdemonas Vertraute und zeigt mit ihrer Anklage, wie viel Kraft ihre Stimme mittlerweile besitzt. Man darf gespannt sein, wie sich die junge Sängerin weiterentwickeln wird. Aufhorchen lassen auch Leonardo Navarro als ebenso wie Jago gekränkter Roderigo, Jongmin Park als sonorer Lodovico und Manuel Walser als Montano.
Myung-Whun Chung hat bereits einige Verdi-Opern in Wien dirigiert und reüssiert nun mit einem ausgereiften Otello. Mit einem kraftvoll-impulsivem Gewittersturm startet er in den Abend, der nicht nur dynamisch Grenzen am oberen Limit auslotet. Im Forte-Bereich würde man den Sängern ohnehin etwas mehr Zurückhaltung im Graben wünschen, was Chung und die auch am Saisonende noch ausgeruht wirkenden Musiker aber mit genauso viel Klangdichte und Transparenz kompensieren. Voll spannungsreicher Intimität gelingen Desdemonas Solo-Szenen.