Grand-Opéra-Wochenende in Wiens Opernhäusern
STAATSOPER WIEN / LES TROYENS / THEATER AN DER WIEN / GUILLAUME TELL
15/10/18 Während die Staatsoper mit einer bereits an anderen Häusern gezeigten Produktion von Berlioz selten gespielten „Les Troyens“ musikalisch reüssieren konnte wie lange nicht mehr, gelang dies im Theater an der Wien mit Rossinis „Guillaume Tell“ immerhin teilweise.
VON OLIVER SCHNEIDER
Gleich mit drei Opernpremieren buhlten die Direktionen der großen drei Wiener Opernhäuser um die Gunst des Publikums. Während Albert Lortzings „Zar und Zimmermann“ in der Volksoper noch etwas länger auf dem Spielplan steht, tut man gut daran, sich Gioachino Rossinis letzte, für Paris 1829 entstandene Oper „Guillaume Tell“ und auch Héctor Berlioz‘ monumentale „Les Troyens“ aufgrund der wenigen Reprisen rasch anzusehen.
An der Wiener Staatsoper standen Die Trojaner erstmals 1976 auf dem Spielplan, wenn auch mit Kürzungen. Nun kann man die Trojaner komplett – inklusive aller Ballettmusiken – erleben: der Abend dauert mit zwei Pausen etwas mehr als fünf Stunden. David McVicar zeigt in seiner Inszenierung – sie war bereits in London, Mailand und San Francisco zu sehen – die schicksalhaften Parallelen zwischen Cassandre und Didon symbolhaft auf und verlegt die Handlung aus der Antike in die Regierungszeit von Napoléon III und ins kolonialisierte Afrika. Schade ist, dass sich die großen Volks- und Soldatenaufläufe in den ersten zwei Akten auf einer mit einer halbrunden Stadtmauer verbauten Bühne abspielen. Wenn sich die Mauer öffnet, erblickt man zusätzlich das trügerische Geschenk der Griechen an die Trojaner: ein riesiges Pferd, das in Wien aus hunderten von Waffen und Teilen anderer Kriegsgeräte zusammengesetzt ist.
Karthago wird mit einer amphitheatralischen Kulisse angedeutet, in der ein Teil des Chors auf Podesten steht. Außerdem ist die Stadt zusätzlich in Miniaturgröße mal auf dem Boden und mal spiegelbildlich herabhängend vom Schnürboden zu sehen. Für das Spektakel der Akrobaten, Tänzerinnen und Tänzer als Huldigung an die Herrscherin Didon bleibt auch hier wenig Platz, sodass das Geschehen vor allem an der Rampe gespielt und über die Musik erzählt wird, die Charaktere aber noch unbeleuchtet bleiben. Das ändert sich erst in den beiden Schlussakten, in denen sich Didon und Enée Tristan-ähnlich ihre Liebe gestehen, Enée hin- und hergerissen zwischen persönlichem Glück und weltpolitischer Aufgabe der Pflicht gehorcht und nach Italien aufbricht und Didon sich schließlich aus Gram ersticht.
Hier erlebt man großes Musiktheater. In erster Linie dank Joyce Di Donato, die sich in diesen zweieinhalb Stunden als grandiose, hochmusikalische Tragödin erweist. Zu Recht galt ihr am Premierenabend der größte Jubel des Abends. Wenn einem nur etwas von diesem Abend in Erinnerung bleiben wird, dann ganz sicher ihr Monolog und ihre Arie „Je vais mourir“ vor einem schwarzen Vorhang, nachdem die Trojaner die karthagische Küste verlassen haben. Gut ist die Idee, im Schlussbild analog zum Pferd der Griechen einen drohenden Hannibal aus Waffengerät zu zeigen, denn die Karthager verfluchen die Flüchtenden und Didon sagt seherinnenhaft ihr Schicksal und jenes ihrer Nachkommen voraus.
Anna Caterina Antonacci fiel krankheitsbedingt aus, sodass Monika Bohinec aus dem Ensemble die Cassandre übernehmen durfte. Sie gab die Seherin trotz der Kurzfristigkeit am Sonntag mit großem Format. Effektvoll erdolcht sie sich im brennenden Troja, um nicht von den Griechen geschändet zu werden. Danach ersticht sich eine Frau nach der anderen mit demselben Dolch. Brandon Jovanovich als Enée mag es schwierig haben, neben zwei so starken Frauen, punktet aber gleichwohl mit seinem differenziert eingesetzten Heldententor. Rachel Frenkel gibt einen erst charmanten, später tatkräftigen Ascagne, Enées Sohn. Verve in der Stimme und viel Engagement auf der Bühne zeigt Szilvia Vörös als Didons Schwester Anna, Jogmin Park stattet Didons Berater Narbal mit beachtlichem Volumen aus. Die vielen weiteren Partien kann die Staatsoper auf gutem Niveau mehrheitlich mit Ensemblemitgliedern besetzen.
Die Trojaner sind aufgrund der großen Tableaus vor allem auch eine Choroper. Gleich drei Kollektive sind für diesen Kraftakt in Wien nötig: der Chor und die Chorakademie der Staatsoper sowie der Slowakische Philharmonische Chor, die durch geschlossenen, abgestuften Gesang bestachen. Dass es zwischen Bühne und Graben nie holpert, ist dem dritten großen Protagonisten dieser Produktion zu verdanken: Alain Altinoglu. Er disponiert das Staatsopernorchester in jedem Moment souverän – bei seinen ersten Trojanern! – und mit einer Sorgfalt, dass kein Detail an diesem kurzweiligen Abend untergeht. Schöner könnten Berlioz‘ Farbenreichtum und die reiche Instrumentierung nicht zur Geltung kommen. Und besser können die Musikerinnen und Musiker des Staatsopernorchesters nicht mehr spielen. Lange hat man nicht mehr einen so einhelligen Jubel nach einer Staatsopernpremiere erlebt.
Bejubelt wurde auch am Samstag alle Protagonisten und das Leitungsteam im Theater an der Wien. Torsten Fischer verzichtet in seiner „Tell“-Produktion auf jeglichen szenischen Bezug zur Schweiz und zeigt ein von einem faschistoiden Regime unterdrücktes Volk, das sich von Führern aus dem eigenen Volk Befreiung von dem Joch der Unterdrücker wünscht. Holzhammermäßig werden Geslers Auftritte mit Video-Einblendungen von Bombern begleitet. Doch auch von Tell und Seinesgleichen darf man sich nichts Positives für die Zukunft erwarten, was vor allem die Blicke des verschlagenen Walter Fürst (Edwin Crossley-Mercer) zeigen. Christoph Pohl ist ein achtbarer Tell, vor allem aber John Osborn ein Arnold Melcthal vom Feinsten, der jede Höhe, jeden Sprung ohne Anstrengung bewältigt. Auch Jane Archibald hat die Mathilde für sich erobert, während die Wiener Symphoniker unter Diego Matheuz in erster Linie mit ihrem differenzierten, genau auf die Dimensionen des Theaters abgestimmten Spiel punkten können.