Blutige Chroniken der Eifersucht
OPER GRAZ / CAVALLERIA RUSTICANA & PAGLIACCI
02/10/18 Blutige Chroniken exemplarischer Eifersuchtsmorde sind die Operneinakter Cavalleria rusticana und Pagliacci. Die Oper Graz eröffnet die neue Spielzeit szenisch ein wenig symbolistisch überfrachtet, musikalisch aber vollblütig musikantisch und mitreißend mit Pietro Mascagni und Ruggero Leoncavallo.
Von Heidemarie Klabacher
Während er im Krieg war, hat sie einen anderen geheiratet, Lola und Turiddu können dennoch nicht voneinander lassen. Jetzt betrügt er also mit der vormaligen Verlobten die aktuelle Geliebte, welche den gehörnten Ehemann der Rivalin informiert. Alle im Dorf wissen, dass sich Unheil zusammenbraut um die Verzweiflung von Santuzza, die das Unheil nicht mehr aufhalten kann, das sie ins Rollen gebracht hat. Die anderen schauen zu. Es handelt sich schließlich um eine Frage der Ehre…
Cavalleria rusticana spielt am Ostersonntag in einem Dorf in Sizilien. Regisseur Lorenzo Fioroni und Bühnenbildner Paul Zoller haben die Ereignisse ohne erkennbaren inhaltlichen Zugewinn in ein zeitlos neuzeitliches Setting verlegt. Ein desolater Veranstaltungsaal nach einem Konzert könnte es sein, Blumenvasen stehen herum und Sitzbänke. Das Piano wurde auch noch nicht abgeholt, ein Clown (der in die zweite Oper gehört) klettert umständlich darauf herum.
Den Luftraum beherrscht ein überdimensionales, handwerklich recht gelungenes Stück Theatermalerei: Der liebe Gott persönlich, vollbärtig wie es sich gehört, umfasst mit seinen Armen das Menschenpersonal, das eine Etage tiefer auf Erden gerade Oper macht: Realistisch gemalt sind Orchester, Hauptfiguren und Chormitglieder, die 80erjahre-Pullunder und Strickwesten aus dem Fundus, oder eine nackte Frauenleiche im Zentrum (obwohl erst in der zweiten Oper auch die Dame ermordet wird).
Einzelne Motive scheinen leitmotivisch die beiden Opern miteinander verbinden zu wollen: Die gemalten Wohnblöcke aus dem Fresko in der Cavallaria stehen in den Pagliacci als Architektur-Modelle am vorderen Bühnenrand herum. Und in der Küche einer dieser Sozialwohnungen wird das blutige Finale der Zirkustragödie steigen.
Der geknickte Strommast geht mit einigen Kabeln aus dem schwebenden Fresko in die Szene über und wird in der zweiten Oper physisch als Ausstattungsstück neben dem vergammelten Zirkusplatz auftauchen. Gut gemacht. Aber warum? Kritik an der Energiewirtschaft ist kein erkennbares Anliegen der Produktion.
Dieser Hang zur knallbunten – handwerklich überaus gekonnten - Bebilderung ohne erkennbaren Bezug zum Stoff hat in Pagliacci noch viel rätselhafteren Niederschlag gefunden: Auf dem Zirkusplatz (quasi auf der anderen Seite des bereits bekannten Bretterzauns) sind zunächst lauter Zombies zugange. Auffällt der hohe Anteil an untotem Kirchenpersonal. Kostümbildnerin Annette Braun hat einen herrlichen Totentanz ausstaffiert.
Der blutige Show-Down findet allerdings in der armselig realsozialistischen Küche der oben erwähnten Sozialwohnung statt: nachdem der arme Bajazzo, der Chef der fahrenden Komödianten, von einem abgewiesenen Verehrer seiner Gemahlin Nedda von deren Verhältnis mit dem Harlekin-Darsteller Silvio informiert wurde… Grandios anschaulich und unheimlich ist der Wolkenwagen, auf dem die fahrenden Truppe ihr mörderisches Spiel spielt.
Die überreiche knallbunte Ausstattung beider Opern kommt insofern über eine recht plakative Bebilderung nicht hinaus, als aus dem Orchestergraben ebenso reiche satte und wohl gesetzte Farben aufsteigen – freilich in viel eleganteren Nuancen. Oksana Lyniv am Pult des Grazer Philharmonischen Orchesters öffnet den Blick in die Tiefe der beiden Partituren, lässt aufblühen, lässt mitreißen, lässt Ruhe einkehren – bevor die unkontrollierbar werdenden Emotionen alle Wellenbrecher sozialen Miteinanders überrollen.
Transparenz stellt sich in den beiden opulenten Werken nicht von alleine her. Oksana Lyniv beschert dem Publikum reichen satten Orchestersound mit feinen und feinsten solistischen Momenten – und den Sängerinnen und Sängern eine so tragfähige wie subtile Basis.
Im Zentrum des hervorragenden Ensembles steht der Tenor Aldo Di Toro, der als gewalttätiger Turiddu in der Cavallaria und als bedauernswerter Canio in Pagliacci gleichermaßen begeistert. Von ihm betrogen bzw. ermordet zu werden das zweifelhafte Vergnügen haben die Sopranistinnen Ezgi Kutlu als Santuzza und Aurelia Florian als Nedda. Als Mutter Turridus engagiert hat die Oper Graz mit Cheryl Studer eine Grande Dame der Klassikszene, eine kleine Partie in Händen einer charismatischen Darstellerin. Audun Iversen als Alfio, Mareike Jankowski als ebenso kokette wie stimmlich brillante Lola, in den kleineren Partien Martin Fournier als Beppo und Ivan Oreščanin als Silvio – ein in allen Partien hervorragend besetztes Ensemble.
Cavalleria rusticana und Pagliacci – weitere Aufführungen, auch mit anderen Besetzungen – bis Juni 2019 – www.oper-graz.com
Bilder: Oper Graz / Werner Kmetitsch