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„Ich habe mich – den Anderen – total verdrängt“

GRAZ / THOMAS MELLE / BILDER VON UNS

15/03/18 Dem Rotstift sind die Frauenfiguren zum Opfer gefallen. Alle drei. Und es ist auch gleich manche Situations- und Handlungsschilderung gestrichen worden, denn Claudia Bossard will ihre Grazer Inszenierung von Thomas Melles Stück „Bilder von uns“ wirklich auf das zentriert wissen, was ihrer Meinung nach den Nukleus ausmacht: die Manns-Bilder der Mannsbilder.

Von Reinhard Kriechbaum

Diese Selbst-Männerbilder heraus zu schälen bedarf es, so scheint die These der Regisseurin, keiner Katalysatoren. Und der Stichwortbringerinnen schon gar nicht. Das ist gewiss nicht zum Schaden dieses Bühnentextes, dem man etwas nicht nachsagen kann: Wortkargheit. Thomas Melle holt mächtig aus, den Hang zum philosophischen Exkurs unterdrückt er nicht. Sowieso lässt er keinen Zweifel daran, dass er sich als Kronzeuge sieht. Wenn schon nicht als solcher der Anklage, so doch als jener des scharfblickenden Beobachtens: Schließlich spielt sein Stück über Missbrauchsopfer in jenem deutschen Jesuitenkolleg, in dem er selbst zur Schule gegangen ist. Als die echten Missbrauchsvorwürfe im Aloisiuskolleg in Bad Godesberg aufgekommen sind, war er vermutlich überhaupt nicht überrascht.

All das drängt Regisseurin Claudia Bossard aber möglichst zurück. Sie und ihr Bühnenbildner Frank Holldack stellen die vier Männer in einem schwarzen Kobel, der von zwei Seiten fürs Publikum einsichtig ist und von vielerlei Lichtquellen überzogen ist. Neonröhren, Scheinwerfer, Diaprojektoren. Da wirken die Selbst-Bilder der Männer nicht nur ins Licht gestellt, sondern mit einer gewissen Brutalität durchleuchtet, jedenfalls mit einer gewissen Vehemenz ans Licht gezerrt.

Der Plot ist ja schlicht: Jesko bekommt ungefähr zwei Jahrzehnte nach dem Abitur per SMS und bald auch auf anderen Wegen Bilder zugespielt. Er als Zwölfjähriger, nackt. Pater Stein hat diese Fotos gemacht. Jesko fällt aus allen Wolken, er hat die Begebenheit vergessen. Das Gedächtnis ist ein gnädiges Organ. Jesko kontaktiert Schulkollegen und verdächtigt jeden von ihnen, der anonyme Absender zu sein. Es kristallisiert sich heraus, dass sie alle ganz ähnliche Erfahrungen gemacht haben, aber ihre Bewältigungs-Strategien grundverschieden sind.

„Ich habe mich – den Anderen – total verdrängt“, heißt es einmal. Den Satz könnte jeder der vier sagen, denn für sie alle gilt: „Verdrängung ist die Kraft, die uns über Wasser hält.“ Ein Grundgesetz nicht nur der Physik, sondern auch der Psychohygiene?

Die Männer-Konzentriertheit der Aufführung in Graz hat ihre Meriten. Claudia Bossard arbeitet in der tollkühn, meist rasant geschnittenen Szenen- und Monolog-Folge die innere Zerrissenheit und die darin gründenden Wandlung der Figuren sehr klar heraus. Joska (Nico Link), der die Bilder bekommen hat, ist skrupulös, zurückhaltend, zaudernd vor allem dann, wenn es ums Aufdecken geht. Malte (Fredrik Jan Hofmann) ist ein Draufgänger, der schier birst vor Tatendrang. Er möchte lieber gestern als heute alles ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt wissen. Johannes (Mathias Lodd), der Jurist, trägt zumindest dem äußeren Schein nach den Unberührten zur Schau. Viele seiner Wortmeldungen geraten zum Plädoyer in eigener Sache – aber eben nur viele, nicht alle. Am schlimmsten hat es Konstantin (Pascal Goffin) erwischt. Er hat die Füße nicht auf den Boden gekriegt, läuft in dieser Inszenierung meist im Bärenkostüm herum. Ein Fall für die Psychiatrie.

Jeder in diesem auf emotionales Gleichgewicht in der Gruppe eingeschworenen Ensemble hat aber nicht ausschließlich die beschriebenen Eigenschaften. Diese Figuren entwickeln sich, werden verunsichert und fassen wieder Fuß. „Einige leben einfach so weiter … und andere nicht.“ Ihre im Lauf der Jahre wissentlich oder unbewusst zurecht gelegten Selbstbilder bekommen mit erzwungener Erinnerung deutliche Flecken, Risse und Sprünge. „Für mich war das ein Ding … aber vielleicht nicht so ein Ding wie für die anderen“, sagt der Jurist. Aber den Satz könnte man auch jedem von ihnen in den Mund legen.

„Bilder von uns“ ist kein geschmeidiger Text, und das ist er auch nicht in Claudia Bossards Lesart. Immer wieder kommen Sentenzen gestelzt daher, aber das hat man in Graz, in der österreichischen Erstaufführung des Stücks, gut im Griff. Wichtig: Es geht um Psychoanalyse, nicht um Schuld und Sühne, schon gar nicht um Stimmungsmache gegen die Kirche. Ein Kernsatz fällt gegen Ende: „Ein Mann als Opfer, was soll denn das sein?“

Aufführungen bis 24. April, Haus zwei – www.schauspielhaus-graz.com
Bilder: Schauspielhaus Graz / Lupi Spuma

 

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