Im Öl lebt sich's leichter
REST DER WELT / WIEN / SUFF
02/01/18 Vier Frauen und ein Todesfall? So hebt „Suff“ von Thomas Vinterberg an, jetzt uraufgeführt im Theater in der Josefstadt. Aber auf dem Friedhof werden sie nie ankommen , die vier Damen aus der besseren Wiener Gesellschaft. Jetzt jedenfalls noch nicht.
Von Reinhard Kriechbaum
Reginas Hinscheiden wird mit Verständnis kommentiert: „Die hat wirklich viel getrunken.“ Ein sozusagen natürlicher Tod also, der nicht weiter kratzt, außer dass eine der Damen lamentiert, weil schon wieder ein Name auszustreichen ist aus der Telefonliste. In Wirklichkeit haben sich die vier Schnapsdrosseln sowieso längst ausgeklinkt aus anderen sozialen Verhältnissen. Man genügt sich und seinem Suff, den man in fröhlich-netter Gemeinschaft zelebriert. Das hat also auch etwas Soziales. Thomas Vinterberg bringt tiefes Verständnis mit. „Ich habe einige Male in Österreich gearbeitet und war jedes Mal erstaunt – und ehrlich gesagt sogar begeistert – wie viel hier getrunken wird. Mehr wird wahrscheinlich nur in Dänemark getrunken.“ So wird er im Programmheft zitiert. Als Däne darf man das locker aussprechen, ohne sich als sauertöpfischen Belehrer anzupatzen – Skål!
Mit dem Weltverbessern haben er's und sein 2015 verstorbener Co-Autor Mogens Rukov ohnedies nicht. Vinterberg, gemeinsam mit Lars von Trier vor bald einem Vierteljahrhundert Begründer von „Dogma“, verspürt da immer noch eine ordentliche Portion Willen zur Aufrichtigkeit in sich. Wenn ihm auch nicht wirklich eine Handlung eingefallen ist für ihre Komödie, liegt ihm nichts ferner, als Alkoholkonsumenten anzuklagen. Im Öl lebt sich's leichter, und das soll so sein, solange für den Einzelnen passt.
Warum saufen die vier Damen eigentlich wie die Löcher? Das erfahren wir nur am Rande. Hedwig (ganz wundervoll charmant, fast zerbrechlich: Sona MacDonald), die den Korkenöffner am Lederband ständig um den Hals trägt, war Ärztin. Die mit nicht weniger Routine Flaschen entkorksende Irma (Elfriede Schüsseleder) ist eine ganz harmlose, aber temperamentvolle Variante der Jelinek'schen „Klavierspielerin“. Constanze (Therese Lohner) hat orthopädische Probleme nach einem Leben als Tänzerin. Und Marion (Marianne Nentwich) – die ist die Frohnatur pur in der Runde.
Ein junger Mann kommt auch ins Spiel, Jacob (Martin Niedermair). Er ist der Gut-Mann in Person, hat das Wort „Dad“ auf den altmodischen Pullover gestrickt und sein Kopf scheint fest verwachsen mit dem Fahrradhelm. Er macht alles so perfekt und richtig, dass sich seine Frau mit einem aufregenderen Mann auf und davon gemacht hat. Das Leben ist ungerecht. Jacobs Versuche, seine Mutter Hedwig weg von der Flasche und (und ohne die anderen Schnapsdrosseln) zum Weihnachtsfest im trauten Kreis zu bringen, scheint erst aussichtslos, aber dann treibt er doch einen Keil in die feucht-fröhliche Viererbande. Zumindest sieht es kurz so aus. Aber die anderen drei Damen übernehmen Initiative und bekehren den Abstinenzler. Da wird die Komödie sogar ein wenig lustig.
Nüchtern betrachtet, ist „Suff“ freilich eine eher trockene Angelegenheit. Die Aufführung in der Josefstadt lebt in der Hauptsache von den vier wirklich sympathischen Damen, denen alle Sympathien des Publikums gelten. Regie zu führen in diesem Quartett war für Alexandra Liedtke wohl keine echte Herausforderung.
Nicht unlustig das Bühnenbild von Raimund Orfeo Voigt: Er hat einen Salon einfach auf den Kopf gestellt für die „verkehrte Welt“, und die Dimensionen des Raums sind auch völlig aus dem Maß. Jeder Auftritt über den Türsturz, der also unten ist, macht eine kleine Kletterei notwendig und schaut komisch aus.
Nein, anspruchsvoll ist das alles nicht, und um als buffonesk durchzugehen, ist der Text zu uninspiriert. Wer Vinterbergs grandiosen Film „Das Fest“ im Kopf hat (das übrigens in der Josefstadt auch schon auf die Bühne gestellt wurde), kann gar nicht anders als enttäuscht sein. Die Aufführung wirkt wie eine zu spät gekommene Vorweihnachts-Pflichtkomödie.