Das Schweineherz des Faust
REST DER WELT GRAZ / FAUST :: MEIN BRUSTKORB : MEIN HELM
02/10/17 Haben die Theaterleute vorschnell kapituliert, indem sie Werner Schwabs Faust-Paraphrase nach der Uraufführung (1994 in Potsdam) und einer weiteren Produktion in Schwerin in seltener Eintracht links haben liegen lassen? 23 Jahre jedenfalls hat es bis zu einer weiteren Produktion gedauert.
Von Reinhard Kriechbaum
Nun also hat sich „Faust :: Mein Brustkorb : Mein Helm“ auch nach Österreich und dort in des Dichters Heimatstadt Graz durchgesprochen hat. Im Schauspielhaus steht das Stück zu Saisonauftakt auf dem Prüfstand.
„Coverdrama“ hat Werner Schwab (1958-1994) drei Stücke genannt – „Der reizende Reigen des reizenden Herrn Arthur Schnitzler“ und „Troiluswahn und Cressidatheater“ sind die beiden anderen –, in denen er Stoffe der Weltliteratur durch die Mangel drehte. „Die Leber steigt in den Ring zum Kampf empor“, lässt Schwab den Mephisto sagen, und man denkt angesichts dieser enthemmt-kreativen Textflut mehrmals daran, dass eine Alkoholvergiftung diesem Sprachlüstling das Ende machte. Und man kann schwerlich übersehen, dass Werner Schwab in dem expressionistisch-exzessiven Konvolut aus selbstverliebtem Wortschrauberei und Eigenzitaten als Mann Mitte dreißig schon in den eigenen posthumen Schrittspuren unterwegs war. In dem Sinn: „Wir verwünschen uns für einen guten ihrigen Tag, Herr Faust!“
Claudia Bauer hat in Graz Regie geführt und ein kleines, ambitioniertes Ensemble eingeschworen auf diese urwüchsig konstruierte Faust-Apokalypse. Dieser Faust verzweifelt nicht nur an Erkenntnis, sondern an allem und jedem querfeldein. In der letzten Szene wird er als hilflos armefuchtelnder Greis befinden: „Wir sind des Lebens und des Todes müde, wir wollen bloß noch Spaß“ - ein Finale im Kreise einer morbiden Tischgesellschaft, die lachhaft wirkt in ihrer, wie es so schön heißt, „Suppenhaftigkeit“ (das hätte Thomas Bernhard einfallen können).
Ein paar Figuren, wie aus der Folklore entsprungen, haben einen Thespiskarren auf die Bühne gezogen. Als Videoprojektion (Livekamera) sehen wir den selbstzerstörerischen Faust im Inneren. Die Leutlein, die nach und nach zu Mitspielern werden, zu Wagner und Mephisto, zu Gretchen, Frau Marthe und zu Valentin, kommentieren und provozieren, einzeln und als Chor.
Regisseurin Claudia Bauer nimmt Schwab so ernst wie nur, und das ist urkomisch genug im Einzelnen. Die Souffleuse darf die szenischen Anweisungen vorlesen. Die Protagonisten erfüllen diese stets beinahe und dadurch parodistisch. Einmal wird die Souffleuse sogar Opfer des lüsternen Faust, wogegen er Gretchen gleich mal an Mephisto abtritt und sich nicht selbst abgibt mit der emanzipierten jungen Dame. Dieser Faust steht meist über den Dingen, selbst Mephisto ist ihm nicht viel mehr als eine Spielpuppe. Im Prinzip spielt Schwabs Faust sowieso in dessen Kopf, verräumlicht in der Studierstube. Video bringt das Innenleben des „wahnvollen Studierzimmergehirns“ nach draußen, wohin dann aber doch auch die Figuren purzeln, sodass wir auch genug Skurriles, im besseren Fall offenkundig Hintersinniges live zu sehen bekommen. Besonders krass in der apokalyptischen Walpurgisnachtszene. Julia Gräfner erledigt als Frau Marthe den Famulus Wagner (Frederik Jan Hofmann) ebenso wie den Popanz Valentin (Raphael Muff), Henriette Blumenau kann ihre Zähne zeigen, nicht nur wenn „alle Telefonnummern schamlos besetzt“ sind. Sie ist ja eine ganz Emanziperte. Benedikt Greiner als Mephisto: eine Kunstfigur direkt aus den Gedanken Fausts.
Die Regisseurin kommt vom Puppentheater her, entsprechend hergerichtet sind die Personen der Handlung. Und wie sie sprechen! Schwab hat ja eine ganze Ebene gebundener, musikalisierter Sprache eingezogen (an der Uraufführung wirkten die Einstürzenden Neubauten mit. Ein nicht unwichtiger Satz bei Schwab ist einem derer Songs entnommen: „Gott hat sich erschossen. Ein Dachgeschoß wird ausgebaut.“
Florian Köhler ist Faust, ein gar nicht unsympathischer Charismatiker. Natürlich ist er selbst der „Geist, der stets verneint“ und der ganz richtig argwöhnt: „Womöglich hält mein Geist sich keinen Hund.“ Der verquere Kopf ist des Pudels Kern, und das ist möglicherweise Crux und Faszinosum dieses Theatertexts gleichermaßen. Von Schwabs Wortschwällen fühlt man sich zwar über weite Strecken ertränkt, und doch finden sich immer wieder Formulierungs-Inseln voller hellsichtiger, nach bald einem Vierteljahrhundert immer noch und gerade jetzt aktueller, treffsicherer Gedanken. Vielleicht also doch ein zu Unrecht vernachlässigtes Stück.
Zuletzt wird der alte Faust, mit faltiger weißer Maske, rührend hilflos nach Suppe rufen. Das Fressen komm nach gescheiterter Moral und anderen Unannehmlichkeiten. „Schönheit...“, japst er, „... Ästhetik war schon schwer genug...“