Das Glas Wasser - mitten ins Gesicht
REST DER WELT / MÜNCHEN / ARABELLA
14/07/15 Festspiele pur: Die neue „Arabella“ ist musikalisch vom Feinsten und bietet ansprechendes, solides Regiehandwerk. Anja Harteros singt die Titelrolle in der Oper von Richard Strauss.
Von Oliver Schneider
Schon zu Beginn der zweiten Vorstellung im Münchner Nationaltheater wurde Dirigent Philippe Jordan mit ersten Bravos empfangen, die bis zum Schlussapplaus zu einem richtigen Jubelchor anwuchsen. Zu Recht, denn Jordan, musikalischer Direktor der Pariser Oper und Chefdirigent der Wiener Symphoniker, lässt das Orchester förmlich mit den Solisten atmen. Statt in operettenhafter Süße zu baden, hält er das Bayerische Staatsorchester zu einem schlanken Klangbild an, das es ihm ermöglicht, das Motivgeflecht und die koloristischen Finessen herauszuarbeiten. Und das von Richard Strauss verwendete Fremd- und Selbstzitate gut erkennen lässt. Das Staatsorchester spielt engagiert und lässt spüren, dass es Philippe Jordan ins Herz geschlossen hat. Das sind gute Voraussetzungen für eine erneute Einladung des Schweizers.
Die Inszenierung von Filmregisseur Andreas Dresen mag auf den ersten Blick dagegen bieder wirken. Wirklich viel passiert allerdings an dem Faschingsdienstag im morbiden Wien Mitte des 19. Jahrhunderts ohnehin nicht. Wichtiger ist es, entlang der Musik eine stringente Personenführung zu entwickeln, und genau das macht Dresen mehrheitlich. Die Protagonisten sind Menschen auf dem gesellschaftlichen Abstieg oder, wie Mandryka, undurchsichtig: Die Waldners sind verarmte Adelige und logieren im Hotel. Die einzige Hoffnung ruht auf einer guten Partie für die Tochter Arabella. Warum die Familie verarmt ist? Der Vater ist Spieler und die Mutter greift, zumindest bei Dresen, zur Flasche. Da kommt der kroatische Gutsbesitzer Mandryka gerade richtig, der mit Geld nur so um sich werfen kann. Jedoch, ob sich Arabella wirklich einen so herrischen und dominanten Mann wünscht, der sich in eine Frau aufgrund eines Fotos verliebt, Hals über Kopf anreist und sie gleich heiraten will?
Zentrales Bühnenbildelement sind zwei zu einem Kreuz verschlungene weiße Stiegen in einem schwarzen Bühnenraum. Das Hotelzimmer der Waldners befindet sich unter den Stiegen (Bühne: Mathias Fischer-Dieskau). Dresen verlegt die Handlung in die Zwischenkriegszeit des letzten Jahrhunderts, eine Epoche, die ebenso wie die von Hofmannsthal und Strauss gewählte Mitte des 19. Jahrhunderts eine Zeit der Unsicherheit und Umwälzung war. Nichts Neues im Übrigen, ähnliche Ansätze haben Sven-Eric Bechtolf in Wien und Götz Friedrich in Zürich vor 9 bzw. 15 Jahren gewählt. Es bleibt in rezeptionsgeschichtlicher Hinsicht eine gute Lösung, gehörte die Arabella doch im Dritten Reich zu den von Hitler geschätzten Strauss-Opern. Passend flanieren SS-Uniformierte auf dem Ball mit Damen in unzweideutigen, roten Cocktailkleidern, die Farbtupfer im Schwarz-Weiss-Ambiente setzen (Kostüme: Sabine Greunig). Auch Graf Waldner trägt ein rotes Sakko und Adelaide einen roten Schal, womit angedeutet ist, dass sie keinen Platz mehr in der besseren Gesellschaft finden.
In der Personenführung hat der Abend einige Anlaufschwierigkeiten. Die Solisten üben sich zunächst in Rampensingen und zum Teil (zu) exaltierten Gesten, außer den alten Waldners. Mit Kurt Rydl und Doris Soffel sind zwei Urgesteine der Opernwelt verpflichtet. Man hat das Gefühl, dass sie ihre jüngeren Kolleginnen und Kollegen immer mehr mitreißen können, so dass der zweite und der dritte Akt spannendes Musiktheater bieten. Beide zeigten sich am Samstagabend (11.7.) in sehr guter stimmlicher Verfassung.
Im Mittelpunkt des Abends steht aber Anja Harteros‘ Arabella, die sie von Anfang an als selbstbewusste und nur scheinbar kokette junge Frau gibt. Ob es wirkliche Eskapaden mit ihren gräflichen Verehrern gab, ist fraglich. Dresen zeigt Arabella als eine moderne Frau, die sich trotz ihres „Und du wirst mein Gebieter sein“ nicht dem derben Mandryka unterordnet. Wenn sie in der Schlussszene mit dem obligaten Glas Wasser die Stiege herunterkommt, gibt sie es ihrem Verlobten nicht zum Trinken, sondern schüttet es ihm lachend ins Gesicht. Stimmlich bleibt die Harteros der Rolle ebenso nichts schuldig, denn sie weiß ihren entspannt strömenden Sopran nahtlos aus der Mittellage in die Höhe zu führen und aufblühen zu lassen. Wunderbar sind die emotionale Beredtheit ihres Monologs im ersten Akt, ihre Wärme und Zartheit im „Gespräch“ mit Mandryka im zweiten Akt und die Schattierungen, die sie ihrer Stimme im auflösenden dritten Akt zu entlocken versteht.
Hanna-Elisabeth Müller gibt, wie in Salzburg bei den Osterfestspielen 2014, die Zdenka. Ihr makelloser lyrischer Sopran bildet einen idealen Kontrast zur Harteros. Und auch darstellerisch bleibt sie der zentralen Rolle nichts schuldig. Joseph Kaiser ist ein aus Liebe zu Arabella verblendeter, stimmlich geschmeidiger Matteo. Dass sein Rivale Mandryka bei Waldner für ihn um Zdenkas Hand anhält, ist für ihn ein Albtraum. So sehr ihn Zdenka anhimmelt. Keine guten Voraussetzungen für die Ehe.
Und der Mandryka? Thomas J. Mayer gestaltet ihn mit metallischem Glanz in der Stimme und heldischem Aplomb, der sich schon mit seiner langen lockigen Mähne und dem mit Pelz besetzten Mantel vom degenerierten Umfeld der Waldners absetzt. Als Fiakermilli im Lederoutfit trällert schließlich Eir Inderhaug ihre halsbrecherischen Koloraturgirlanden bravourös rauf und runter.
Positiv zu erwähnen sind noch die ausgezeichnete Diktion aller Protagonisten und die sorgfältige Besetzung der kleinen Partien, aus denen Dean Power als stimmschöner Graf Elemer heraussticht.