Weder Apollon noch Dionysos
REST DER WELT / BASEL / DAPHNE
16/02/15 Christof Loy interpretiert im Theater Basel Richard Strauss‘ „Daphne“ als narzisstische Außenseiterin und Gegenstand der Begierde im tiefsten Oberbayern und nimmt mit der Verortung gleichzeitig Bezug auf die Biographie des Komponisten.
Von Oliver Schneider
Eine junge Frau, die von ihrem früheren Jugendfreund Leukippos und vom Gott Apollon begehrt wird, aber Jungfrau bleiben will und schließlich von ihrem Gottvater Peneios in einen Lorbeerbaum verwandelt wird und sich so weder für die dionysische noch die apollinische Liebe entscheiden muss: So findet sich die Geschichte bei Ovid in den Metamorphosen und in anderen mythologischen Quellen. Bedenkt man, dass die bukolische Tragödie auf das Libretto von Joseph Gregor 1938 in Dresden uraufgeführt wurde – gleichzeitig mit Strauss „Friedenstag“ in München –, mutet die Wahl des Stoffes bizarr an. Setzt man sie in Beziehung zur Biographie des Komponisten, wie es Christof Loy gemeinsam mit seinem Dramaturgen Thomas Jonigk in Basel macht, sieht es schon ganz anders aus.
Irgendwo im tiefsten Oberbayern arbeitet Daphne als Kellnerin im Dorfwirtshaus und bringt den ohnehin schon angetrunkenen jungen und älteren Männern Bier für die durstigen Kehlen (Bühne: Annette Kurz, Kostüme: Ursula Renzenbrink). Dabei muss sie lüsterne Blicke und mehr ertragen. Im Gegensatz zu ihren Kolleginnen passt die introvertierte, verträumte Frau nicht hierher. Ihre Mutter Gaia schon. Sie war vielleicht einmal ähnlich ihrer Tochter jetzt, doch ihre Frustration, in der Provinz gelandet zu sein, spült sie nun mit Obstbrand hinunter. Ihr Mann Peneios ist ein ebenso enttäuschter Biedermann, der aus irgendwelchen Gründen im Dorf gestrandet ist. Was bleibt auch ihm anderes, als seine Tochter in die Arme der Dorfmänner zu stoßen.
Loys männliche Dorfgesellschaft ist ausschließlich Testosteron-gesteuert. Mangels Frauen zur Befriedigung ihrer Lüste müssen sie sich zum Teil als blonde Frauen verkleiden. Andere können sich wie Hunde, die sich fast von den Leinen losreissen – Loy zeigt es so krass – auf Daphne und ihre Arbeitskolleginnen stürzen. Leukippos ist zu einem bodenständigen, jungen Mann gereift, der für Daphne mittlerweile andere Gefühle – und Begierden – empfindet, auf die sie nervös und abweisend reagiert. Listig verkleidet er sich deshalb als ihr Klon, mit dem die Selbstverliebte schließlich im Bett landet. Der zweite Galan Apollon, der als Jäger mit Armbrust als Zeichen für seine Frauenjagd im Dorf auftaucht, entlarvt ihn. Den Kuss Apollons missdeutet Daphne in ihrer Verblendung als Bruderkuss, lässt sich aber schlussendlich doch als Werkzeug des eifersüchtigen Gottes missbrauchen und stößt Leukippos das tötende Messer in den Bauch.
Natürlich verwandelt sich Daphne bei Loy am Ende nicht in einen Lorbeerbaum. Immerhin schmückt sie ihr Haar mit einigen Lorbeerblättern, bis sie von Nazi-Schergen abgeführt wird. Das wirkt alles andere als aufgesetzt, denn damit holt der Regisseur Strauss‘ eigene Biographie in den Abend, der sich nach anfänglicher Hinwendung zum neuen Regime im Laufe der Jahre immer mehr in seiner Garmischer „Exil“ zurückzog.
Ein rundherum stimmiger Abend, für den alle Beteiligten bei der Premiere viel Applaus und Jubel ernteten. Auch musikalisch ist er gelungen. Agneta Eichenholz, die man schon zum Loy-Ensemble zählen darf, liefert ein rührendes Porträt einer in narzisstischen Fantasien lebenden jungen Frau. Ihre Stimme verfügt über den für Strauss charakteristischen Jubelton und recht viel Kraft. Mit Hanna Schwarz als Gaia steht eine zweite Loy-Sängerdarstellerin auf der Bühne, deren Präsenz immer noch phänomenal ist. Thorsten Grümbel verleiht dem enttäuschten Peneios seinen sonoren Bass. Rolf Romei, der den Leukippos gibt, ist längst im Zwischenfach angekommen und stattet den Jugendfreund mit heldischer Strahlkraft aus. Was der Rolle gut tut. Für Marco Jentzsch bedeutet der undankbare Apoll hingegen einen vokalen Grenzgang.
Die Leitung des nur gegen Ende Ermüdungserscheinungen zeigenden Sinfonieorchesters Basel liegt in den erfahrenen Händen von Hans Drewanz, der den Kosmos der im Vergleich zu anderen Strauss-Antike-Opern schmalen Partitur gut auslotet. Klangliche Transparenz und ebenso die Opulenz, wenn sich Daphne der Männer erwehren muss oder Leukippos und Apoll sich gegenüberstehen, haben ihren Platz in seiner Deutung. Sehr schön gelingt der Moment, wenn in der Verwandlungsszene der Wind durch die Lorbeerblätter haucht (Harfenglissandi und erste Violinen).