Renato und Manon
REST DER WELT / MÜNCHEN / MANON LESCAUT
20/11/14 Giacomo Puccinis „Manon Lescaut“ mit Anna Netrebko hätte der Hype der Saison werden sollen. Dann sagte sie kurzfristig ab. Kristine Opolais ist mehr als eine perfekte Alternative neben Jonas Kaufmann als Des Grieux und Alain Altinoglu am Pult.
Von Oliver Schneider
Als ob Anna Netrebko nicht bereits lange genug im Geschäft wäre, um zu wissen oder zumindest herausfinden zu können, was sie bei einer Regiearbeit von Hans Neuenfels erwartet. Kurzfristig trennte man sich, wie es in einer Mitteilung der Bayerischen Staatsoper hieß. Kristine Opolais sollte eigentlich zu dieser Zeit in New York die Mimì singen, entschied sich aber stattdessen wieder einmal, im Münchner Nationaltheater einzuspringen. Das war Glück im Unglück, denn die Opolais passt ausgezeichnet in das Konzept, das Neuenfels für diesen Abend entworfen hat.
In seiner „Manon Lescaut“ hat die Liebe von Anfang keine Chance. Der schwarze Bühnenraum, der vorne, hinten und am Boden mit drei Neonlicht-Rahmen begrenzt wird, die schwarzen Kostüme der Protagonisten – sogar die in Amiens ankommende Postkutsche ist schwarz – machen das von Anfang an deutlich. Da kann Jonas Kaufmann sein „Donna non vidi mai simile a questa“ im ersten Akt noch so schmachtend-cremig singen.
Was sofort auffällt: Altmeister Neuenfels gibt sich in seiner jüngsten Arbeit altersmild. Er erzählt das Sich Verlieben der Todgeweihten, deren Flucht, Manons Entscheid, sich vom Lüstling Geronte aushalten zu lassen, ihre Verhaftung und Deportation und schließlich ihren Erschöpfungstod im amerikanischen Nirwana ohne viel Drumherum.
Die Handlungsorte werden auf die Bühnenrückwand projiziert. In den Umbaupausen zwischen den Akten werden außerdem immer wieder mehr oder wenige passende Texte auf den Zwischenvorhang eingeblendet, die das Denken und Fühlen des Protagonistenpaars noch deutlicher machen sollen. Ob das neben der Musik noch nötig ist, ist die Frage, aber es stört auch nicht.
Neuenfels zeichnet Manon nicht als ein Flittchen, sondern mehr als eine nach Luxus Süchtige. Opolais‘ Manon erkennt durchaus, dass sie den falschen Weg eingeschlagen hat, schafft es aber nicht, umzukehren. Zumindest zu Beginn des Abends noch nicht. Nach einem jugendlichen Flirt und der Flucht mit Des Grieux, wird sie – nicht ganz unverständlich – von der Aussicht auf Schmuck und anderen Luxus bei Geronte angezogen. Doch in ihrem funktional-kühlen Schlafzimmer in seinem Haus wirken Perlen und Brillanten wie Fremdkörper, genau wie sie selbst. Ein erstes Mal flackert ihre (wirkliche) Liebe zu Des Grieux deshalb hier auf, als er sie zur Flucht bewegen will. Doch noch einmal steht ihr der Reiz des Luxus im Wege.
Das folgende Intermezzo bildet den endgültigen Wendepunkt in Manons und Des Grieux Leben. Gemeinsam ziehen sie in die Verbannung. Für einen Neuanfang ist es aber schon zu spät. Es sind vor allem die beiden letzten Akte, in denen der Münchner Opernabend seine Dichte entfaltet. In denen zwei gebrochene Menschen im Hafen von Le Havre vergeblich um Gnade flehen und sich im Schlussakt – Puccinis Tristan – vergeblich versuchen, gegen das Schicksal aufzubäumen. Auf der leeren, von Neonlicht kalt erleuchteten Bühne setzen sie barfuss, unsicher und kraftlos einen Schritt vor den anderen. Hier kann es kein Menschenglück geben. Und hier läuft die Opolais in ihrer großen Arie „Sola, perduta, abbandonata“ zu Höchstform auf. Hier vergisst man, dass ihre Stimme eigentlich wenig Glanz hat und in der Höhe immer wieder zur Schärfe neigt.
Vor allem die ersten beiden Akte würden es nahe legen, Puccinis erste Erfolgsoper nach Renato Des Grieux zu benennen. Und wenn Jonas Kaufmann die Partie gestaltet, wäre das auch gerechtfertigt. Mit seinem bronzefarbenen Timbre, der breiten Mittellage und Strahlkraft in den Spitzentönen ist er als Des Grieux eine perfekte Besetzung. Dies auch deshalb, weil er sich wieder einmal bemüht, nicht nur mit Kraft zu punkten.
Souverän gestaltet und singt Markus Eiche Manons Bruder als schmierigen Strippenzieher, der seine Schwester aus Eigennutz ins Unglück stößt, während Roland Bracht als Geronte vor allem röhrt. Weitere Ensemblemitglieder beweisen in kleineren Partien das hohe Niveau der Bayerischen Staatsoper. Die rothaarigen Damen und Herren des Chors sind schließlich in graue Larven gehüllt und erinnern so an entfernte Verwandte der Bayreuther Ratten (wieder vorbildlich einstudiert von Sören Eckhoff).
So wie es Neuenfels gelingt, die vier Ausschnitte aus dem Leben der beiden Protagonisten zu einer Gesamtsicht zu verbinden, so legt Alain Altinoglu mit dem ausgezeichneten Bayerischen Staatsorchester einen verbindenden Teppich über den Abend. Es ist sehr ernster Puccini, der im Einklang mit der Regie über weite Strecken eher hart und unerbittlich auf das dunkle Ende fokussiert klingt. Streckenweise würde man sich allerdings wünschen, dass der junge französische Dirigent das Orchester zu Gunsten der Solisten etwas zurücknehmen würde. Am Ende der besuchten, zweiten Vorstellung gab es für ihn und das Orchester sowie alle Protagonisten einhelligen Jubel. Zu Recht.