Hier wurde Weltgeschichte geschrieben
REST DER WELT / KONSTANZ / AUSSTELLUNG
03/09/14 Ausgerechnet ein kleines Städtchen am südlichen Ufer des Bodensees war von 1414 bis 1418 der Nabel der Welt. In der sehenswert umfangreichen Landesausstellung „Das Konstanzer Konzil - Weltereignis des Mittelalters 1414 – 1418“ lenkt das Badische Landesmuseum Karlsruhe den Blick auf das Konzil und seine Nachwirkungen.
Von Horst Reischenböck
Der Auslöser war das Schisma: Es gab zur gleichen Zeit drei Päpste, von denen doch nur einer der rechtmäßige Stellvertreter Petri sein konnte und durfte. König Sigismund aus dem Haus der Luxemburger erhoffte sich vom Papst die Krönung in Rom – und berief deswegen ein ökumenisches Konzil ein, um dem unhaltbaren Zustand ein Ende zu bereiten. Es sollte das einzige Konzil auf deutschem Boden bleiben und das letzte, in dem ein Papst außerhalb Italiens gekürt wurde. Natürlich ging es in den Verhandlungen nicht nur um Einfluss und Macht, sondern auch um Geld. Dank der Zustimmung von Papst Johannes XXIII., der sich zum Rücktritt bereit erklärte und als einer der „Gegenpäpste“ aus der Liste der Päpste gestrichen wurde, kam es zur Verwirklichung der Pläne. (Der heutige „offizielle“ Johannes XXIII. hat im vergangenen Jahrhundert das 2. Vatikanische Konzil einberufen!)
Es wäre auch in unseren Tagen eine nicht gering zu schätzende logistische Leistung, so wie damals mit einer Vorlaufzeit von bloß einem Jahr eine derartig internationale Versammlung aus dem Boden zu stampfen. Sollten doch gleichsam alle Nationen – erstaunlicherweise sogar auch die miteinander verfeindeten Reiche England und Frankreich – miteinander konferierten.
Es ging denn auch um Politik: Da wurde der Mord an Herzog Ludwig von Orléans durch Johann Ohnefurcht genauso verhandelt. Da ging es um die Beschwerde gegen die Deutschordensritter im heutigen Polen und Litauen. Da belehnte Sigmund den Nürnberger Burggrafen Friedrich VI. mit der Mark Brandenburg (praktisch der Neuanfang des späteren Preußen unter den Hohenzollern). Und die „Ketzer“ Jan Hus und Hieronymus von Prag wurden trotz Zusicherung freien Geleits durch den König verurteilt und verbrannt. Die Folge waren der 1. Prager Fenstersturz und die Hussitenkriege, in denen sich die Böhmen gegen den ungeliebten Sigismund auflehnten.
Bis zu 20.000 Gäste waren zwischen 1414 bis 1418 pro Tag zugegen, in einer Stadt von kaum sechstausend Einwohnern. Diese sahen nicht immer gerne, was los war, etwa wie der Mainzer Bischof mit fünfzig Geharnischten aufmarschierte, während Sigismund seine Ungarn außerhalb der Stadtmauern ausharren hieß. Die Chronik des Konstanzer Ulrich Richental, für die des Lesens Unkundigen reich bebildert (ein Exemplar besitzt die Nationalbibliothek in Wien), listet mit Namen und Wappen die schier unglaubliche Zahl von 72.460 Teilnehmern!
Darunter im Gefolge Sigismunds anfänglich auch der letzte Minnesänger Oswald von Wolkenstein, der die „feinen“ Mädchen pries. (An diese Gustgewerblerinnen erinnert seit 1993 die schon durch Honore de Balzac literarisch geschilderte „Imperia“ als überlebensgroße Statue, die zwei Männlein mit Tiara und Krone in Händen hält.) Positiv äußerte sich Wolkenstein darüber, dass in Konstanz die Gäste nicht finanziell ausgenommen wurden. Für feste Preise (!) während der ganzen Zeit sorgten die damals nur jeweils auf ein Jahr (!) gewählten Bürgermeister, deren einer dafür später auch durch Sigismund mit Überreichung feuervergoldeter Sporen geadelt wurde.
Diese sind im ehemaligen Lagerhaus der Mailänder Kaufleute, dem heutigen Konzilgebäude, in dem das Konklave Anfang November 1417 tagte, ausgestellt. Genauso wie fast schon eine Überfülle an Gegenständen des täglichen Lebens und des damaligen Kunstschaffens. Darunter reich verzierte Reliquiare oder einige der auch heute noch auf ihre Weise sinnlich wirkenden „Schönen Madonnen“: etwa die von Krumau aus dem Kunsthistorischen Museum Wien oder die Madonna Colli der Liebieghaus Skulpturensammlung Frankfurt, aus Salzburg stammend. Ein Wiedersehen gibt es auch mit den thronenden Figuren von Papst und Kaiser aus dem Dommuseum.
Drei Stunden Verweildauer sind nicht zu kurz gegriffen, um die Fülle aller aufgebotenen Exponate auf sich einwirken zu lassen. Ein ausgezeichnet aufbereiteter Katalog bietet nachlesenswerte zusätzliche Informationen. Der Besuch lohnt sich, um den Spuren einer Tagung zu folgen, die jedoch nur eins ihrer Ziele verwirklichte: die Wahl von Martin V., der Rom allerdings erst drei Jahre später erreichte. Zusammenkünfte, um die unbeantwortet gebliebenen Fragen zu behandeln, sollten nach Konstanz in regelmäßigen Abständen folgen. Doch schon nach Basel war damit Schluss: Es konnte doch nicht angehen, dass eine Versammlung, an der auch Laien teilnahmen, über dem Papst stand und diesen gegebenenfalls absetzen durfte. Aus Sicht der Nachfolger irgendwie verständlich.
Zur Ausstellung werden jeweils Dienstag und Samstag Nachmittag von der Tourismus Information am Bahnhof ausgehend Führungen auf den Spuren des Konzils angeboten: zur Dreifaltigkeitskirche, der Kirche St. Stephan, aus der dreimal wöchentlich das Geschrei der Gerichtsverhandlungen herausschallte, und ins Münster hinein - wo sich König Sigismund, der sich erst einmal aufwärmen wollte, nach seiner Ankunft am Heiligen Abend der heimischen Bevölkerung präsentierte, die ihrerseits deswegen sechs Stunden in der Kälte ausharrte…