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Endlich das Fürchten gelernt

REST DER WELT / GENF / SIEGFRIED

04/02/14 Dieter Dorns Ring am Grand Théâtre de Genève geht in die dritte Runde: eine unaufgeregt solide Nacherzählung des Mythos auf einer Bühne, die den Text wörtlich nimmt. Ingo Metzmacher am Pult des Orchestre de la Suisse Romande.

Von Oliver Schneider

011Natürlich mühen sich die Nornen wieder mit dem Schicksalsfaden-Knäuel zu Beginn der Aufzüge ab – Ende April dürfen sie sich endlich auch mal artikulieren. Fafner (sehr gut Steven Humes) ist von Anfang an präsent, denn Dorn und sein Ausstatter Jürgen Rose zeigen ihn als krakenartiges Ungeheuer, dessen Extremitäten durch eine Schar von Statisten gesteuert werden. Nur sein dreigesichtiger Kopf wird erst im zweiten Aufzug von unten hochgefahren, wenn ihn der Heisssporn Siegfried aus dem Schlaf reisst.

Was Dorns Regie am Vorabend und in der „Walküre“ auszeichnete, war die Personenführung. Doch gerade daran hapert es im „Siegfried“ im ersten Aufzug, so dass sich die nicht ganz eineinhalb Stunden hinziehen. Jung-Siegfried überrascht zwar seinen Ziehvater mit einem gefangenen Bären, der mehr drollig als bedrohlich wirkt. Ein richtig pubertierender Flegel ist er aber zumindest im ersten Aufzug nicht. Es reicht auch nicht, dass Andreas Conrad als fabelhafter Mime alle schauspielerischen (und stimmlichen) Register zieht, um die Hinterhältigkeit des Zwergs zu zeigen. Die Wirkung der spannenden Szene zwischen ihm und dem Wanderer verpufft, weil zwischen den beiden keine Beziehung entsteht.

010John Lundgren als dämonischer und stimmgewaltiger Alberich schafft es im zweiten Aufzug, das Ruder herumzureißen: Alberich und Wotan (sonor und prächtig Tomás Tómasson) sind deutlich als Antipoden gezeichnet, die sich in ihrem Streben nach Macht gleichen. Das rote Waldvögelchen (an einem Stab geführt und gesungen von Regula Mühlemann mit silbrigem Timbre) flattert später mit anderen Artgenossen am blauen Himmel umher. Ein hübscher Gegensatz zum ansonsten so düsteren Geschehen, bevor es dann in der Szene Wanderer-Erda (mit noblem Timbre Maria Radner) im dritten Aufzug wieder im Halbdunkel weitergeht und sich die Mutter Brünnhildes vor Altersschwäche nur noch kriechend fortbewegen kann, bevor sie in den endgültigen Schlaf fällt.

Im Hintergrund sieht man schon das Feuer um den Walkürenfelsen lodern, auf dem Brünnhilde ihren Dornröschenschlaf hält. Wotan, der seine Kraft längst verloren hat, kann und will Siegfried nicht davon abhalten, zu seiner Tochter Brünnhilde zu stürmen. Das Weitere ist bekannt: Der Prinz küsst die Prinzessin wach. Oder besser der Neffe die Tante, und auch Hutschpferd Grane bewegt wieder den Kopf. Kitschiger könnte man es nicht mehr darstellen. Ende gut alles gut, aber Ende April wird sich einmal mehr zeigen, dass Siegfried nicht der strahlende Held und das dicke Ende unausweichlich sind.

012Großartig ist die Schlussszene dank Petra Lang und John Daszak. Die erstere überzeugt als ausdrucksvolle Brünnhilde mit hochdramatischer Wucht, wobei ihr permanentes Anstemmen von unten stört. Daszak legt den Siegfried lyrischer als gewohnt an (etwas zu wenig strahlkräftig wirkt deshalb das Schmiedelied). Beeindruckend ist aber, dass Daszak auch ohne große Heldenstimme ausreichend Durchhaltevermögen besitzt, um neben der ausgeruhten Brünnhilde mühelos bestehen zu können. Das ist sicherlich auch Ingo Metzmacher am Pult des Orchestre de la Suisse Romande zu verdanken, der die Dynamik im Griff hat und damit die Sängerinnen und Sänger förmlich auf Händen trägt.

Wie schon in der „Walküre“ durchleuchtet Metzmacher die Partitur und lässt hören, was andernorts im wabernden Getöse untergeht. Allerdings lässt die Konzentration im Graben im Laufe des langen Abends nach, was sich in Wacklern im Blech und Unstimmigkeiten in der Koordination manifestiert. Wunderbar ist auf jeden Fall, wie man Wort für Wort die Geschehnisse verfolgen kann, ohne permanent auf die französische und englische Übertitelung blicken zu müssen. Nach mehr als der Halbzeit des Rings darf man sagen, dass Ingo Metzmacher mit seiner Deutung der eigentliche Star dieser Genfer Neuproduktion ist.

Weitere Aufführungen bis 8. Februar. Der „Ring des Nibelungen“ wird am 23. April mit der „Götterdämmerung“ abgeschlossen. Zwei zyklische Aufführungen der Tetralogie im Mai 2014 – www.geneveopera.ch
Bilder : Grand Théatre Geneve / Carole Parodi

 

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