Theaterdonner im Schweinestall
REST DER WELT / MÜNCHEN / KÖNIG LEAR
03/04/13 „Dies ist ein trübes Bild!“ So sieht Britanniens abgedankter Herrscher aus grau-grauer Vorzeit sein eigenes Sterben. - Johan Simons „körperliche“ Deutung von Shakespeares „König Lear“ in den Münchner Kammerspielen.
Von Hans Gärtner
Es dauert, bis der König unmerklich stirbt, als gebrochener alter Trottel. Bei ihm sind seine Treuesten der Treuen: der verbannte Kent (Wolfgang Pregler), das Naturkind Edgar (Kristof Van Boven), Sohn des braven, um sein Augenlicht gebrachten Gloucester (Peter Brombacher), dazu Cordelia (Marie Jung), verstoßen vom Vater, weil ehrlich gewesen und anständig – doch auch sie gehört schon zu den Ermordeten. Einsam bricht das Herz des König Lear.
„Sie geh`n mit einem Totenmarsche ab“, heißt es in der Schlegel-Tieck-Übersetzung. Doch das kümmert Regisseur und Münchner Kammerspiel-Intendant Johan Simons nicht, der sieben Jahre mit dem „Lear“ schwanger ging, wie er im Vorgespräch mit Elke Bauer verriet, um an seinem Haus mit potentem Ensemble „Shakespeares vielleicht dunkelste Tragödie“ neu herauszubringen. Ebenso wenig scherte Simons sich darum, dass und wie (erfolgreich) sein Vorgänger Dieter Dorn 1992 den „Lear“ mit Rolf Boysen in der Titelrolle inszeniert hatte – mit neun Jahren Spielplanpräsenz.
Simons` Lear, der wunderbare André Jung, ist mit 60 ein Dutzend Jahre jünger als Boysen. Er spielt den jähzornig-ekelhaften, mimosigen, aufbrausend-missgelaunten Kronenträger als liederlich-verkommenen Patriarchen im roten Cape und Strumpfhosen auf einem Bauernhof mit Gerümpel und Getier. Es darf nach Säuen stinken. Echte Schweine hat der abgetakelt-abgedankte Großbauer Lear in seinem schlampig ausgemisteten Stall. Das Vieh stahl seinem Herrn und Gefolge, dem draufhauerisch gestimmten Ensemble, beinahe die Schau; spielten die Schweine doch nur Chargen. Säue und Ferkel waren überflüssig.
Der „Körperlichkeit“ des Textes und der „kindlichen Einfachheit“ der Aussagen verschrieb Simons sich, auch wenn das zunehmend erschlaffende, in Bert Neumanns chaotischem Bühnenbild mit den verstiegen-zeitlosen Gewandungen Nina von Mechows präsentierte Stück „vom Ganzen, vom Universum“ handelt. Grelle Neon-Tafeln geben es dem doofen Publikum schriftlich, wo es sich von Bild zu Bild befindet. Ansonsten: Gestänge, Stege, Breitwand-Zelt, Rondell mit zum Zerrupfen und Bewerfen geeignetem Rollrasenbelag, der im 1. Akt leider nur kurzzeitig ein fürs Neckische geeignetes Lametta-Tempelchen als Gloucester-Schloss usw. sein durfte. Wenig Erhabenheit. Kein universales Menschheitsdrama. An Allgemeingültigem von Antworten auf Grundfragen des Menschseins – Altern, Leid, Hass, Neid, Verrat, Treue, gegenseitiges Abkrageln und Augenausstechen – ist da, weil zu viel, nichts Bleibendes geboten. Geht doch, action is in, im wüsten Sturm- und Gewitter-Bild mit entfesselter Natur ein Theaterdonner nieder, dass alles nur so kracht und crasht.
Das war`s dann aber auch schon. André Jungs Feinziselierungen bis zum Wahnsinn gingen dabei ebenso den Bach hinunter wie die undankbaren, Greuel ersinnenden Reichserbe-Töchter Goneril (Annette Paulmann) und Regan (Sylvana Krappatsch) abstoßender in ihrer herben Mannsbilder-Attitüde nicht hätten sein können. Bleibt noch, von Stefan Hunsteins „spitze“ Auftritt als vermaledeitem (weiter aber enttäuschend langweiligen) Bastard Edmund kurz, von Thomas Schmausers Eulenspiegel-Narr etwas länger zu reden: Der hampelte zu munter und quickig herum, als dass man ihm seine geschraubten (in der gewählten Frank Günther-Übersetzung durchaus entpathetisierten) Sentenzen abnahm. Musste nicht sein, war`s aber am Ende doch: Des Narren blanker Hintern wurde den Zusehern gezeigt: Da habt ihr euren neuen Münchner „Lear“, sagt Johan Simons.