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Der Moralapostel und die lustige Witwe

REST DER WELT / ZÜRICH / DER MENSCHENFEIND

22/01/13 Barbara Frey inszeniert Molières „Menschenfeind“ im Schauspielhaus Zürich mit Michael Maertens in der Titelrolle. Die Regisseurin weiß, wie viel Raum sie einem Schauspieler geben muss, damit er in eine Rolle seine Persönlichkeit einbringt.

Von Oliver Schneider

Bei ausreichend Zeit – und mit dem nötigen Kleingeld versehen – konnte man Michael Maertens, Nestroypreisträger 2005 und eine der Stützen des Wiener Burgensembles, in den letzten zehn Tagen gleich in vier Paraderollen und an vier Spielstätten erleben. In Woody Allens „Mittsommernachts-Sexkomödie“ als Andrew im Wiener Burgtheater, als vom öden Landleben und Alkohol abgestumpften Michail Ljwowitsch Astrow in Tschechows „Onkel Wanja“ in der Dependance Akademietheater, als verschmähten Bassa Selim in Mozarts „Entführung“ im Opernhaus Zürich und als Alceste in Molières „Der Menschenfeind“. Der letztere steht seit letztem Donnerstag im Schauspielhaus Zürich neu auf dem Spielplan. Die Regie hat die Hausherrin Barbara Frey übernommen.

Alceste stellt an sich und seine Umwelt höchste moralische Ansprüche und verachtet die oberflächlichen, unehrlichen Umgangsformen der Upper-Class. Doch just dieser allzu honorige Mensch betet die lebenslustige, schöne Witwe Célimene (Yvon Jansen) an. Nicht nur, dass die junge Frau mit aller ihr zur Verfügung stehenden Koketterie die Männer umgarnt. Sie spielt sie je nach Bedarf mit böser Zunge auch gegeneinander aus. Als jedoch ein verhängnisvoller Brief an einen von ihnen sie überführt, wenden sich alle von ihr ab. Nur Alceste nicht, der den Glauben an eine Besserung nicht verloren hat.

Barbara Frey und ihre beiden Ausstatterinnen (Bühne: Bettina Meyer, Kostüme: Esther Geremus) lassen Molières Komödie um die Frage, wie viel Wahrheit die Gesellschaft verträgt, zeitnahe in einem Pariser Etablissement im Art déco-Stil spielen, in dem Célimene die Hausherrin ist. Unerbittlich schwingt Alceste gegenüber seinem Freund Philinte (Thomas Loibl) Reden über die Verkommenheit seiner Mitmenschen. Wer könnte das überzeugender als Michael Maertens? Auch für Oronte (Matthias Bundschuh), der ihm mit einem Gedicht die Freundschaft anträgt, hat er nur Spott und Verachtung übrig.

Doch das an Überheblichkeit grenzende Gefühl moralischer Überlegenheit löst sich in Luft auf, wenn die bezaubernde Célimene die Bühne betritt. Ihr liegt er sprichwörtlich zu Füßen, genau wie alle anderen Männer: zwei ältliche Gecken Acaste (Siggi Schwientek) und Clitandre (Christian Baumbach), der erstere in knallroter, der andere in geblümter Hose. Und Oronte, der den die Wende auslösenden Brief Célimenes erhalten hat, in dem sie ihre anderen Verehrer verspottet. Mit diebischer Freude liest Acaste diesen Brief vor, in dem jeder von ihnen sein Fett abbekommt.

Zum Personal gehört auch die scheinbar so moralische, alte Jungfer Arsinoé, hier gespielt von Gottfried Breitfuss. Wenn sie vorgibt, Célimene vor den lästernden Stimmen über sie zu warnen, entlarvt sie ihre heimlichen Wünsche nur selbst. Nur zu gerne hätte sie auch so viele Chancen bei den Männern, vor allem bei Alceste. Doch von ihrer Bigotterie will Alceste auch nichts wissen, nachdem die Wahrheit über Célimene ans Licht gekommen ist. Aber wie entsetzt ist Célimene, als Alceste ihr von einem Neuanfang fern des gesellschaftlichen Lebens mit allen seinen Gefahren vorschwärmt. Dieser Mensch will sie nicht begreifen. Von einer Läuterung will sie nichts wissen, lieber bleibt sei (vorderhand) alleine. Da hat es Philinte besser, der sich für Célimenes Kusine Eliante (Olivia Grigolli) entschieden hat.

Frey hat in Zürich ein ausgezeichnetes Ensemble zusammengestellt, das den gut zweistündigen, pausenlosen Abend trägt. Die sprachlich eingängige Fassung von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens und einige Kürzungen mögen ihren Beitrag dazu geleistet haben. Michael Maertens‘ Können steht außer Frage, doch auch seine Partnerinnen und Partner halten auf dem Niveau mit. Ein wenig Anlehnung an den Feydeauschen Boulevardstil und Slapstick verträgt die Aufführung.

Vorstellungen bis 4. März - www.schauspielhaus.ch
Bilder: Schauspielhaus Zürich / Matthias Horn

 

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