Beschränktes Glück
REST DER WELT / MÜNCHEN / RIGOLETTO
18/11/12 Ein neuer „Rigoletto“ an der Bayerischen Staatsoper. Arpád Schilling löst Doris Dörries „Affentheater“ aus dem Jahr 2005 mit einer über weite Strecken statischen Deutung von Giuseppe Verdis Oper ab.Von Oliver Schneider
Nach dem missglückten letzten Versuch waren die Erwartungen hoch. Zu hoch, denn szenisch und musikalisch wurden sie wieder nur teilweise eingelöst.Die üblichen Buhs für das Regieteam am Schluss überwogen die Bravos deutlich, und auch für Solisten, Chor und Orchester war der Applaus für Münchner Verhältnisse kurz.
Arpád Schilling legt das Schicksal des unheimlichen Manipulanten Rigoletto in einer Theater-auf-dem-Theater-Situation an. Wenn sich der Vorhang eröffnet, sieht sich der Zuschauer einer steilen Tribüne gegenüber, auf der Herrenchor (tadellos einstudiert von Stellario Fagone), Statisten und Puppen hell und modern gekleidet sowie maskiert sitzen. Indem sich die Solisten aus der Masse der entsubjektivierten Betrachter, Mitläufer und schadenfreudigen Rächer erheben und in die Handlung einsteigen, will Schilling Nähe zu den Schicksalen der Protagonisten erzeugen. Theater und Realität vermischen sich spätestens in den Momenten, in denen die Masken fallen. Rigolettos Buckel ist in die Mottenkiste verbannt. Seine mentale und durch Schicksalsschläge hervorgerufene Behinderung symbolisiert das Regieteam (Ausstattung: Márton Ágh) durch einen Rollstuhl mit übergrossen Rädern, den Sparafucile als geistiger Bruder Rigolettos im zweiten Bild erstmalig vor sich herschiebt.
Viele, die Handlung veranschaulichende Bilder sind offensichtlich und durchaus gut gewählt: So flanieren junge und alte Frauen vor den männlichen Augen auf der Tribüne von rechts nach links und umgekehrt, wenn der Herzog seinem unstillbaren Liebesbedürfnis in „Questa e quella per me pari sono“ Ausdruck verleiht. Auch, dass die Tribüne in der Mitte zerbricht, als Monterone den libertären Herzog und seinen willigen Hofnarr verflucht, bedarf keiner weiteren Erklärung.
Ein Schleier als Zeichen für die erzwungene familiäre Abgeschottetheit senkt sich, wenn Rigoletto in sein Haus zurückkehrt. Hier hält er seine Tochter Gilda vermeintlich vor den lüsternen Augen des Herzogs verborgen. Die emotionale Distanz, die er zu ihr wahrt, zeigt, dass er nicht aus Vaterliebe handelt. Es ist ein Besitzanspruch, den er auf sie geltend macht. Schilling sieht Gilda im Übrigen trotz ihres jungfräulichen, weißen Gewands nicht als Schutzbedürftige. Sie ist eine schon gereifte Frau, die von ihrem Vater in der Vergangenheit auch missbraucht worden sein könnte.
Konsequent ist, Monterone und Sparafucile sowie Giovanna und Maddalena zu je einer Person zu verschmelzen. Monterone als Verfluchender und Sparafucile als derjenige, der den Fluch schliesslich wahr werden lässt, Sparafuciles einschlägig erfahrene Schwester Maddalena und die das traurige Schicksal Gildas zumindest als Gehilfin beschleunigende Giovanna. Einen tiefen Eindruck hinterlässt das zentrale Quartett im vierten Akt, wenn Maddalena kurz vor dem Liebesakt mit dem Herzog triumphiert, während Gilda in ihrer Enttäuschung mit dem beherrschenden Vater daneben zuschauen muss.
Aber alle diese Bilder reichen nicht aus. Auch wenn Schilling emotionale Kälte zwischen Rigoletto und Gilda erzeugen will, so entlässt ihn dies nicht aus der Pflicht, Beziehungen zwischen den Personen herzustellen. Diese werden ausgeblendet. Der Abend gerät dadurch zu statisch, so dass man über weite Strecken das Gefühl von Rampensingen hat. Was das wieder hervorragend redigierte Programmheft gedanklich aufdröselt, müsste sich wenigstens ansatzweise in einer Personenführung spiegeln.
Unter den Sängern galt die größte Sympathie des Premierenpublikums (am Samstag, 15.12.) Joseph Calleja als Herzog. Zu Recht, denn er besticht gleichermassen mit strömender Kantilene, verführerischem Schmelz und dem strahlenden Glanz seiner Höhe. Dank seines nuancierten Vortrags wird deutlich, dass dieser Herzog nicht nur ein auf Abwege geratener Ehemann ist, sondern sich durch Gildas reine Liebe eine Zeitlang danach sehnt, einen Neuanfang zu machen.
Franco Vassallo als Rigoletto weiß im Ausdruck zu differenzieren und überzeugt mit seiner kernigen Stimmgebung und der klangvollen, metallischen Tiefe. Zuweilen etwas uneben ist jedoch seine Intonation. Geschmackssache ist Patricia Petibon als Gilda aufgrund ihres stark ausgeprägten Vibratos. Ihre starke Persönlichkeit kaschiert aber manche stimmliche Schwäche, so dass sich die Waagschale nur leicht nach unten neigt.
Nadia Krasteva trumpft als Giovanna/Maddalena vor allem als gealterte Prostituierte im letzten Akt mit ihrem ausladenden Mezzosopran auf. Dimitry Ivashchenko markiert als Monterone und Auftragsmörder Sparafucile mit substanzvollem und schwarzem Bass Präsenz. Marco Armiliatos klanggestalterischer Zugriff am Pult des Bayerischen Staatsorchesters ist zunächst etwas verhalten. Doch im Laufe des Abends nimmt die orchestrale Spannung zu, weil Armiliato den musikalischen Fluss mit Verve, Brio und dramatischem Gespür vorantreibt.