Heldentenor mit Tatoo und viele andere Male
REST DER WELT / HINTERGRUND / BAYREUTH (1)
25/07/12 „Misswende folgt mir, wohin ich fliehe / Misswende naht mir, wo ich mich neige.“ Dieses Zitat kommt in Richard Wagners Walküre vor und bezieht sich auf Siegmund, der eine kurze, intensive Liebesnacht mit seiner Schwester verbringt und danach gemeuchelt wird. Was aber bedeutet Misswende genau? Wagner meint wohl so etwas wie ein missliches Schicksal oder unverschuldetes Unglück.Von Jörn Florian Fuchs
Auch die Intendanz der Halbschwestern Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner wird seit Beginn ihrer Regentschaft 2008 von heftigen Unwettern aus unterschiedlichsten Richtungen torpediert, wobei etliches – freilich nicht alles – selbst verschuldet ist. Das aktuelle Krisenfeuer wurde recht unspektakulär gelöscht. Evgeny Nikitin sollte die Titelpartie im neuen Fliegenden Holländer (Premiere ist heute Mittwoch (25.7.) singen, doch findige Journalisten entdeckten Videos mit einem Hakenkreuz-Tattoo auf der Brust des ehemaligen Heavy-Metal-Musikers. Mittlerweile wird selbiges zwar von anderem in die Haut gestochenen „Schmuck“ überdeckt, doch an einem historisch so belasteten Ort wie Bayreuth ist das Ganze natürlich völlig zu recht ein Politikum.
Nikitin zeigte sich gegenüber der Festspielleitung wenig schuldbewusst und so mussten die Festspiele wenige Tage vor der Eröffnung auf Holländer-Suche gehen. Der koreanische Bassbariton Samuel Youn springt nun in die Bresche und macht das sicher gut, wie schon unzählige Male zuvor an vielen Opernhäusern und auf diversen Festivals landauf, landab. Nikitin wäre der erste Russe in einer Hauptrolle auf Bayreuther Brettern gewesen und womöglich der einzige Coup dieses Sommers.
Wagners stürmische Oper inszeniert Jan Philipp Gloger, der bisher noch nicht wirklich als herausragender (Opern)Regisseur reüssierte. Gloger ist Chefinszenator in Mainz, wo Katharina Wagner bereits mehrfach arbeitete, sie legte dort ein ziemlich flaches Tiefland sowie eine völlig gestrandete Butterfly vor. Am Pult der Neuproduktion steht Christian Thielemann, der in Interviews gern über moderne Regiekonzepte schimpft, aber in Bayreuth gehorsam alles dirigiert, was ihm unter den Stab kommt. Sogar Sebastian Baumgartens Tannhäuser (beg)leitet er heuer, nachdem Thomas Hengelbrock sein letztjähriges Pult-Debakel offenbar weder sich noch dem Publikum erneut zumuten wollte. Dieser Tannhäuser stellt(e) einen absoluten Tiefpunkt dar, das Regieteam um Sebastian Baumgarten erhielt fast ausschließlich Buhsalven, Hengelbrock wurde ebenfalls hart abgestraft. Ursprünglich war einmal die Rede von der Integration historischer Instrumente, übrig blieb eine vorwiegend kammermusikalische Umsetzung von Wagners wuchtigen Klängen, mit einigen sehr schönen Stellen aber auch vielen schlicht unpassenden Interpretationsideen. Entweder waren Hengelbrock die spezifischen Bedingungen des weltweit einmaligen Bayreuther Orchestergrabens egal, oder er kam mit ihnen nicht zurecht, in beiden Fällen hätte die Festspielleitung intervenieren müssen. Ebenso bei der Umsetzung eines auf dem Papier nicht gänzlich absurden Konzepts. Baumgarten und sein wirrer Dramaturg Carl Hegemann stellten Gärungsgeräte und Verdauungsmaschinen auf die Bühne, die außerdem mit einem riesigen – nicht nur für die Akustik hoch problematischen – Gerüst verstellt wurde. Liedtexte der Band Rammstein (Lieblingsgruppe von Katharina Wagner) flimmerten völlig sinn- und beziehungslos herum, Kasperei reihte sich an Kasperei. Ein chaotisches Trauerspiel war das!
Bekanntlich gehört zu Bayreuth der Werkstattgedanke und die Inszenierungen bleiben vier bis sechs Jahre im Repertoire. Doch drängt sich folgender Gedanke auf: warum nicht eine so offenkundig gescheiterte Arbeit absetzen, bei ein paar besonders konservativen Wagnerianern Extra-Mittel eintreiben und eine Neuinszenierung herausbringen? Notfalls kann man ja Alexander Pereira um Hilfe bitten, nach maximal drei Abendessen mit Firmenbossen hätte der sicherlich das Geld zusammen. Pereira steht ohnehin in der Schuld Bayreuths, da er das stille Abkommen, keinen Wagner an der Salzach zu spielen, demnächst aufgeben wird: Stichwort Meistersinger.
Neben Holländer und Tannhäuser gibt es diesen Sommer auf dem Grünen Hügel nochmals Stefan Herheims formidablen Parsifal, der endlich auch auf DVD herauskommen soll und in Kinos übertragen wird. Weiters den rattenscharfen Lohengrin von Hans Neuenfels und überflüssigerweise zum x-ten Mal einen Tristan in der Regie von Christoph Marthaler. Es ist die wohl schwächste Arbeit des wunderlichen Schweizers Gesamtkunstwerkers. Seit der Premiere vor gefühlten zwei Jahrzehnten ließ sich Marthaler nicht mehr blicken und unterlief damit konsequent den Werkstattgedanken. (Wird fortgesetzt)