Gescheitert in und an Amerika
REST DER WELT / ZÜRICH / KAFKAS ‚AMERIKA’
20/04/12 Für Frank Castorfs am Mittwoch (18.4.) in Zürich erstmals gezeigte Dramatisierung - und mehrheitlich gescheiterte Dramatisierung - von Franz Kafkas Romanfragment „Amerika“ muss man mal wieder eines mitbringen: viel Sitzfleisch.Von Oliver Schneider
Der Abend dauert geschlagene viereinhalb Stunden, die nach einem kurzweiligen Start nach der Pause nur zähflüssig vergehen. Schaute man am Premierenabend eine halbe Stunde vor Mitternacht auf die Sitznachbarinnen und –nachbarn, erblickte man viele müde und ratlose Gesichter, die immer wieder verstohlen auf die Uhren schauten. Trotzdem gab es zuletzt viel Applaus.
Im Mittelpunkt von Kafkas erstem Roman steht der sechzehnjährige Karl Rossmann, der von seinen Eltern nach Amerika verschifft wird, weil er von einem Dienstmädchen verführt worden ist. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten sucht er nun sein Glück und scheitert trotz sisyphusartigen ch-Abmühens.
Für die erste Stunde begeben sich die Zuschauer ins freie Atrium der Schiffbauhalle, der Dependance des Schauspielhauses, wo Aleksandar Deni? das Oberdeck des Ozeanliners SS America nachgebaut hat.
Hier erlebt der Abend seine größte Spannung, weil Castorf sich um eine echte Dramatisierung des Werks bemüht, angereichert um Rückblenden in Karls Vergangenheit und Kafka’sche Tagebucheinträge, die Karls aussichtlose Situation verdeutlichen. In der Schiffbauhalle selbst hat Deni? die Eisenkonstruktionen um eine New Yorker Subway-Station im Jahrhundertwendestil aufgebaut.
Wie immer bei Castorf wird nicht nur auf offener Bühne, sondern vor allem in Kammern, aber auch im nachgebauten Lift des Hotels „Occidental“ gespielt, geschrieen, musiziert und gefilmt. Im Laufe des Abends lassen zusätzliche Themen wie Fremdenfeindlichkeit, sozialistische Kampfparolen und natürlich viel Slapstick den zuerst konzisen Abend leider aus den Fugen geraten.
Wie befreiend wirken da trotz weiterer Verlängerung die letzten Minuten des Abends, die ganz dem fabelhaften Bojan Krsti? Orkestar gehören, das schon von Beginn weg immer wieder für eine angenehme, wenn auch laute Abwechslung sorgt.
Schauspielerisch gibt es auch nur Positives zu berichten. Patrick Güldenberg, Robert Hunger-Bühler, Marc Hosemann, Margit Bendokat und weitere schlüpfen in verschiedene Rollen und beweisen in jeder Minute, dass sie ihre Kunst beherrschen. Dies entschädigt zumindest teilweise dafür, dass sich Castorf mit dieser Neuinszenierung über weite Strecken nur selbst kopiert.