Die Rächerin in der Sozialwohnung
ZÜRICH / MEDEA
09/02/11 Schauspielhausdirektorin Barbara Frey überzeugt in Zürich vor allem mit ihren Klassiker-Inszenierungen. Und mit Nina Hoss als Trumpf, die bereits in der zweiten Premiere reüssiert.
Von Oliver Schneider
Matthias Hartmann hat in Bochum entstandene Produktionen erst für Zürich adaptiert und zeigt sie nun mit großem Erfolg in Wien, wenn auch im Regelfall mit neuer Besetzung. Das macht den Reiz aus und lässt die Abende – noch stärker als Koproduktionen in der Oper – eigentlich zu Neuinszenierungen werden. Genauso verfährt Barbara Frey in Zürich, seit letzter Saison die Nachfolgerin des Burgchefs am dortigen Schauspielhaus. Besseres kann dem Publikum gar nicht passieren, bringen die beiden doch immer ihre eigenen Filetstücke mit, die frisch garniert nochmals gewinnen.
Barbara Frey hat gerade ihre Berliner „Medea“ adaptiert und beschert damit großartiges, unaufgeregtes und konzentriertes Theater. In einer winzigen Sozialwohnung lässt man Medea in Korinth leben. Mitten in einem weißen Raum steht diese Behausung, in die man mitleidig von außen blickt oder mit dem Kopf durch die Stoffwände versucht einzudringen (Bühne: Bettina Meyer).
Nina Hoss, die in der Fremde Geduldete, ist nicht nur die Herrin dieses zweckmäßigen Heims mit Bett, Küche, Fernseher und Waschmaschine, sie beherrscht die Bühne mit ihrer Präsenz. Als Kreon ihr mitteilt, dass er ihr auch dieses Zuhause noch nehmen will, zeigt diese Frau ihren Kampfeswillen. Gegenüber dem Korintherkönig setzt sie ihre weiblichen Reize ein, denen Kreon (Markus Scheumann) schnell erliegt. Frey gelingt es in ihrer Inszenierung, die von Euripides thematisierten allgemeingültigen Aussagen in ein zeitgenössisches Umfeld zu übertragen, ohne dass sie dafür größere Eingriffe in die Übersetzung von Hubert Ortkemper vornehmen musste. Gekürzt hat sie vor allem beim Chor, der ohnehin nur von Ursula Doll verkörpert wird.
In der Auseinandersetzung zwischen Medea und Jason (Michael Neuenschwander) ist von vornherein klar, dass sie dem Schwächling überlegen ist. Er kann ihre blutrünstige Rache nicht aufhalten. Nachdem sie schon ihren eigenen Bruder getötet hat, wird sie Glauke, um deretwillen Jason sie verlassen hat, Kreon und ihre beiden Kinder töten. Am Schluss des pausenlosen, fast zweistündigen Abends muss ein sichtlich bewegter Bote (Matthias Bundschuh) mit plastischen Worten berichten, was sich Grausames zugetragen hat und damit erklären, wohin Hass, Verrat und Egoismus führen. Rezitatorisch bewegend war schon der Prolog der Amme (Iris Erdmann), in dem sie in Zeitraffer das Geschehene erzählt. Euripides‘ „Medea“ ist und bleibt immer zeitgeistig, was Frey und ihr ausgezeichnetes Zürcher Ensemble in der schnörkellosen Produktion beweisen. Das Publikum feierte alle Beteiligten am vergangenen Freitag.
Den Zuspruch kann das Schauspielhaus brauchen, gab es doch in der vergangenen Spielzeit nach dem Direktorenwechsel einen Zuschauereinbruch um rund ein Fünftel. Matthias Hartmann hatte die Zürcher in seiner zu kurzen Intendanz allabendlich an die großen Namen gewöhnt - Michael Maertens, Corinna Kirchhoff, Dörte Lyssewski, um nur einige zu nennen -, die nun seltener zu Gast sind. Dafür punktet Barbara Frey inhaltlich stärker mit ihren eigenen Inszenierungen: „Maria Stuart“, „Was ihr wollt“ und jetzt „Medea“.