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Dem Ende wohnt kein Zauber inne

STAATSTHEATER NÜRNBERG / ALCINA

18/03/25 Hierzulande kennen wir Dorothee Oberlinger als Blockflötistin und Leiterin des Departmens für Alte Musik der Universität Mozarteum. Sie dirigiert längst auch – und nicht nur ihr Ensemble 1700. Wie federleicht und tänzerisch diese Erzmusikantin ein „normales“ Orchester wie die Staatsphilharmonie Nürnberg zum klangrednerischen Swingen bringt zeigt sie gerade mit Händels Zauberinnen-Oper Alcina in Nürnberg.

Von Heidemarie Klabacher

Auf der Bühne im Opernhaus des Staatstheaters Nürnberg schüttet es. Eine ärmlich gekleidete junge Frau und ein Soldat im Feldgrau des ersten Weltkriegs, je einen Pappkoffer in der Hand, kämpfen gegen den Wind. Tauschen im Sturm das Gewand. Eine düstere Ziegelmauer versperrt den Weg, bis aus einem sich langsam öffnendem Türspalt freundliches Licht fällt und eine Hand mit rot lackierten Fingernägeln die beiden hereinwinkt.

Und schon sind wir mitten drin in Georg Friedrich Händels wundersam trauiger Geschichte vom Untergang eines Zauberreiches, das weder seinem Anspruch an sich, noch dem der von außen heran drängenden Wirklichkeit standhalten konnte. Im Setting der Produktion im Staatstheater Nürnberg, einer Kooperation mit dem Theater Bonn, befinden wir uns in der deutschen Zwischenkriegszeit. Dass diese Markierungen mit Uniform- oder Ausstatungsdetails zwar eindeutig gesetzt, aber nie belehrend in den Vordergrund gerückt werden, ist eine der vielen Meriten der szenisch, wie musikalisch-sängerisch brillanten Aufführung.

Dorothee Oberlinger am Pult der Staatsphilharmonie Nürnberg legt den Sängerinnen und Sängern einen klangrednerisch facettenreichen, dabei immer transparenten Orchestersound zu Füßen. Virtuos besetzt die beiden Blockflötisten, delikat phrasierend die Continuogruppe.

Regisseur Jens-Daniel Herzog entwickelt auf der Bühne von Mathis Neidhardt – Edelpuff, Gentlmen's Club oder Salon einer Dame von Welt? – und unter entscheidender Mithilfe der epochengenau zitierenden Kostüme von Sibylle Gädeke ein Beziehungsdrama, eingebettet in einen Clash unvereinbarer Zivilisationen. Am Text des anonymen Librettisten hat Händel möglicherweise mitgebastelt. Alcina erzählt eine einzige kleine Episode aus dem irrwitzigen Ritter-Endzeit-Epos Orlando Furioso von Ludovico Ariosto von 1532.

Die junge Frau mit dem uneleganten Namen Bradamante und deren treuer Begleiter Melisso suchen Bradamantes verschwundenen Verlobten Ruggiero. Dieser ist der schönen Zauberin Alcina ins Netz gegangen, von dieser verzaubert oder einfach nur hörig gemacht worden. Diese Hexe geht nicht sanft um mit abgelegten Liebhabern. Sie verwandelt sie – Kirke lässt grüßen – bei Nicht-länger-Bedarf in wilde Tiere. Dem jungen Ruggiero droht dieses Schicksal nicht, denn Alcina liebt ihn tatsächlich. Und das besiegelt ihr Schicksal, denn starke Gefühle schwächen offenbar die Zauberkraft. Alcinas Welt ist verloren.
Höhe- und Knackpunkt der Oper ist denn auch Ruggieros große Arie Verdi prati – Grüne Wiesen – mit der der Abtrünnige den Untergang von Alcinas überirdischen Gartenreich der Schönheit und der Lüste vorausahnend betrauert. Corinna Scheurle singt die Partie des irrenden Ritters Ruggiero. Darstellerisch gibt sie ein seltenes Beispiel einer überzeugend gespielten Hosenrolle. Sängerisch betört sie mit samtweicher geschmeidiger Kantilene und gekonnt eingesetzter Durchschlagskraft. Julia Grüter brilliert in der Titelrolle darstellerisch als Frau von Erfahrung, Welt und Eleganz, die mit allem rechnet, nur nicht mit ihren eigenen Gefühlen – denen sie stimmlich mit goldenem Feenstaub Glanz und verleiht.

Komödiantische Facetten bringen Chloë Morgan als Alcinas ungeniert saufende, rauchende und virtuos Koloraturen sprühende Schwester Morgane und Martin Platz als deren geplagter Verehrer Oronte mit sonorer Verzweiflung. Sara Šetar als Bradamante und Demian Matushevskyi als Melisso bringen die alles zerstörenden Stimmen der Vernunft ins Spiel – und dieses an ihr Ende. Veronika Loy brilliert in der Rolle des Knaben – hier des Pagen – Oberto, der verzweifelt seinen (von Alcina längst in ein wildes Tier verzauberten) Vater sucht.

Ruggiero kann sich nur schwer und zuletzt nur mit Gewalt von Alcina und ihrer Schein-Welt trennen. Ob freilich die reale Welt – Ehefrau oder Soldaten im Regiment – aus der Rückkehr des Desillusoinierten viel Freude gewinnen wird? Und was wird aus einer Zauberin, die ihre Zaubermacht verloren hat. Man fühlt und leidet mit allen – weit über das Ende der Aufführung hinaus.

Alcina – Aufführungen bis 29. April im Staatstheater Nürnberg – www.staatstheater-nuernberg.de
Bilder: Staatstheater Nürnberg / Ludwig Olah

 

 

 

 

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