Mehr Comedy als Buffa
MÜNCHEN / DIE SCHWEIGSAME FRAU
22/07/10 Diana Damrau und Toby Spence als Leuchttürme in einer durchwachsenen Produktion der Strauss-Oper bei den Münchner Opernfestspielen.Von Oliver Schneider
Der englische Admiral a. D. Sir Morosus hat genug vom Lärm der Zeit und zieht sich in sein Schneckenhaus zurück, bis ihm der schlaue Barbier Schneidebart die Heirat einer schweigsamen Frau vorschlägt. Doch diese Heirat erweist sich für den Hagestolz als Bumerang. Stefan Zweig verfasste das Libretto zu dieser komischen Oper im Stil der italienischen Opera buffa von Richard Strauss frei nach Ben Jonson und machte aus dessen beißender Moralsatire ein graziles, witziges Intrigenspiel, in dem er mit einem Augenzwinkern sich selbst als vom Lärm geplagten Salzburger karikiert.
Wie es einem Lärmgeplagten und -geschädigten wie Morosus im 18. Jahrhundert, dem bei einer Explosion das Trommelfell geplatzt ist, heute ergehen würde, interessiert den australischen Regisseur Barrie Kosky in einer Neuinszenierung im Prinzregententheater im Rahmen der Münchner Opernfestspiele. Morosus’ Haus ist nur mit einem Bett auf einem Spielpodest auf der sonst leeren Bühne angedeutet, was den Blick auf die von Zweig psychologisch ausgeleuchteten Personen frei geben könnte (Bühne und Kostüme: Esther Bialas). Doch dieser fehlt vor allem im ersten Akt des durch zwei Pausen gedehnten Abends. Im besten Fall halbszenisches Rampensingen herrscht vor, wenn gerade Schneidebart als Spielmacher aktiv ins Geschehen eingreifen sollte. Da hilft auch die Idee nicht, dass Morosus’ Neffe Henry, statt mit seiner Frau Aminta und einer kleiner Operntruppe um Gastrecht zu bitten, gleich mit einer kompletten, Pizza essenden Opernkompagnie bei seinem Onkel einfällt und deshalb kurzerhand enterbt wird. Von Brünnhilde (Aminta) bis zu Escamillo, Violetta und Butterfly fehlt keiner in der Truppe. Hatte Peter Konwitschny bei seinen „Meistersingern“ in Hamburg nicht eine ähnliche Idee? Dass der Barbier, Henry und die Operntruppe dann ihre kleine Intrige aushecken, um Morosus zu düpieren und gleich auch an sein Geld zu kommen, verpufft im allgemeinen Herumgezappel.
Mehr Zugang zum Kammerspiel findet Kosky im zweiten Akt, wenn ihm auch hier der Spaß wichtiger ist als das psychologische Ausdeuten. Wenigstens passiert etwas zwischen den Personen: So animieren die Heiratskandidatinnen in bayrischen Dirndln immerhin zum Lachen. Nach der Hochzeit zwischen dem biederen Morosus und Timida alias Aminta reißt Diana Damrau mit ihrem Spielwitz den Abend herum und animiert auch ihre Partner zu mehr als Rampensingen. Aus Timida ist eine Koloraturen trällernde Furie geworden, dass es dem frisch gebackenen Ehemann Angst und Bange wird. Mit ihrer Leistung reiht sich die Damrau übrigens gleich bei ihrem Rollendebüt, das ursprünglich bereits für die Wiener Staatsoper geplant war, in die Reihe ihrer großen Vorgängerinnen ein.
Hinreißend gelungen ist dann der dritte Akt, in dem Kosky Bezug auf die TV-Realität nimmt. Statt einer Gesangsstunde mit Lehrer tritt Timida als Siegerin einer Casting-Show auf, in der die Damrau und ihr Duopartner alias Henry alias Toby Spence mühelos die von Strauss geforderten Höhen und Schwierigkeiten erklimmen. Auch ein Großteil des übrigen Ensembles kann sich an diesem Abend hören lassen: So gibt Nikolay Borchev den Barbier mit geschmeidigem Spielbariton, und Elena Tsallagova brilliert als Isotta mit Leichtigkeit in den Koloraturen. Keine Idealbesetzung ist Franz Hawlata als Morosus, dessen Stimme zu hell für die Partie ist. Was noch zu verschmerzen wäre, wenn er den alten Seemann wenigstens mit Leben füllen würde. Vor allem fehlt ihm der Humor, um am Ende über sich selbst zu lachen.
Eine Enttäuschung ist schließlich die musikalische Leitung von Kent Nagano. Dass das Orchester die wahren Gefühle der Protagonisten erzählt, aber auch Rossinische Leichtigkeit im Finale des ersten Akts versprühen soll, interessiert ihn wenig. Im pauschalen, über weite Strecken viel zu lauten Dirigat ist von der schillernden Farbigkeit der zitatreichen Partitur von Monteverdi bis zur „Frau ohne Schatten“ zu wenig zu hören. Das Publikum am Premierenabend störte dies offenbar nicht und schloss alle Beteiligten in den enthusiastischen Applaus ein.