Keine Macht dem Hochglanz!
REST DER WELT / DACHAU / THE NATIONAL
15/07/10 Mit dem Aufstieg einer geschätzten Band ist das so eine Sache. Zum einen gönnt man ihr Erfolg und Ansehen, zum anderen ist zu fürchten, dass der Eintritt in die Hochglanz-Popwelt ihren Tribut fordert und Anpassung und Lieblichkeit die zuvor prägenden Kanten abwetzt.
Von Oliver Baumann
Das Konzert am Mittwoch (14.7.) beim Dachauer Musiksommer hat bewiesen, dass derartige Ängste bei der New Yorker Indie-Rock-Kombo The National unbegründet sind.
„High Violet“, das aktuelle Album der Band, erklomm in ungeahnter Weise die Albumcharts auf beiden Seiten des Atlantiks. Hochglanz-Videos, Fernsehauftritte und ein via YouTube weltweit übertragenes Konzert folgten. Doch live - und anscheinend besonders gerne am Rathausplatz im Bayerischen Dachau, den sie schon vor zwei Jahren im Rahmen des hiesigen Musiksommers bespielten - lassen The National die vordergründig polierte Fassade fallen und tun, wofür sie von den heuer zahlreich erschienenen Fans geliebt werden: Sie zelebrieren Indie-Rock auf höchstem Niveau.
Im Mittelpunkt des Geschehens: der Sänger und Texter Matt Berninger. Er steht im Bühnenzentrum steht, verloren wirkt er, wenn er seine Zeilen singt, murmelt und keucht. Seine oftmals düsteren Worte stehen in einem spürbaren Spannungsfeld, aus dem er selbst kaum zu entkommen und doch jeden Moment zu explodieren scheint. Bisweilen jedoch zeigt sich Berninger an diesem Abend gelöst, scherzt mit dem Publikum und wagt sogar einen Ausflug in die Menge, um dann vor dem Erklimmen des Laternenmasts mit den Worten „This doesn’t work with me!“ zurückzuschrecken.
Hinter seinem warmen, sonoren Bariton bauen die Gebrüder Dessner und Devendorf kaskaden-artige Songs von greifbarer Dichte auf. Dem intim anmutenden Konglomerat aus hypnotischen Gitarren-Arpeggios und dezenten Bass-Grooves entspringen ein immer kräftiger werdender Beat, eine kreischende Bratsche und deftige Bläsereinsätze, die besonders den Nummern aus jüngerer Zeit ihren Stempel aufdrücken: Songs von schmerzvoller Schönheit entstehen, aus denen das verzweifelte Schreien Berningers einen Ausweg andeutet: „I’ll explain everything to the Geeks!“
Der Schwere des Stoffs wird energiegeladenes Musizieren und erfrischende Spielfreude entgegengesetzt. Highlights wie „Secret Meeting“, „England“, „Fake Empire“ oder „Afraid of Everyone“ ziehen das Publikum ganz dicht an sich heran und scheinen es erst mit einem finalen Kraftakt wieder wegzustoßen. So verschmilzt die bestens auf einander eingespielte Formation zu einem Gesamtwerk, dessen greifbar authentisches Auftreten die Befürchtungen einer der Popbranche geschuldete Hochglanz-Unterkühltheit vertreibt. Dafür spendet das begeisterte Publikum jubelnden Beifall und entlässt The National nur ungern in die gewittrige Sommernacht.