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Sieg der Liebe

MÜNCHEN / AGRIPPINA

28/07/19 Der im Festspielsommer 2019 vielbeschäftigte Barrie Kosky geht den Mechanismen der Macht in Händels Agrippina im Prinzregententheater im Rahmen der Münchner Opernfestspiele nach. Alice Coote ist die Powerfrau in der Titelrolle. Ivor Bolton dirigiert.

Von Oliver Schneider

Im Mittelpunkt von Georg Friedrich Händels dritter, 1709 uraufgeführter Oper steht Agrippina, die Gattin des römischen Kaisers Claudio. Dieser ist angeblich im stürmischen Meer bei der Überfahrt von Britannien ertrunken ist. Die machtbesessene Ehefrau versucht nun, ihr Söhnchen Nero mit Intrigen und Unterstützung willfähriger Höflinge an die Macht zu bringen, um ihre eigene Macht zu sichern. Einen Strich durch die Rechnung macht ihr die unerwartete Rückkehr des Ehemanns, der von Ottone gerettet worden ist. Letzterer soll Kaiser werden, will aber gar nicht, sondern lieber Poppea heiraten, in die pikanterweise auch Claudio und Nero verliebt sind.

Barrie Kosky betrachtet die zeitlosen Machtspiele aus heutiger Optik (Kostüme: Klaus Bruns). Wer das Sagen hat im Kaiserhaus ist klar: Agrippina. Sie ist eine gewiefte Powerfrau, die schmeichlerisch Liebe heucheln, aber vor allem Ränke schmieden kann, um ihre Pläne durchzusetzen. Die Herren – und das ist schon bei Händel und seinem Librettisten Vincenzo Grimani so angelegt – sind hier eindeutig die Schwächeren, die von Agrippina und ihrer Widersacherin Poppea abhängig sind.

Nero, das ist einerseits ein verschüchtertes, tuntiges Muttersöhnchen, andererseits aber auch ein Testosteron-gesteuerter Liebhaber und, was Kosky gut zeigt, am Schluss ein gelehriger Schüler seiner Mutter, der später zum blutrünstigen Herrscher werden wird.

Da die Handelnden – und Getriebenen – im ersten Teil des Abends charakterlich vorgestellt werden, beschränkt sich Kosky in der Personenführung auf das Wesentliche, um die Handlung auf der Bühne mit ihren drehbaren Chromstahlgerüsten am Laufen zu halten. In einem Bürogebäude, auf Treppen oder Plätzen (Bühne: Rebecca Ringst). Nach der Pause geht es dann Schlag auf Schlag voran, wozu es auch ein bisschen Slapstick sein darf. Nun kann auch die zweite starke Frau des Abends, Poppea, ins Spiel eingreifen und ihre Intrigenkünste zeigen. Ihr Rendezvous mit Ottone in ihrem schicken Appartement wird nämlich durch Nero und seinen Vater gestört, die sich ebenfalls bei der sich ihrer Attraktivität bewussten Poppea einfinden. Da heisst es klug sein. Elsa Benoit überzeugt durch ihr Spiel genauso wie mit ihrem perfekt abgerundeten, beseelten Sopran.

Alice Coote ist die Machtfrau Agrippina, für die andere Menschen nur Werkzeuge zum Erreichen der eigenen Wünsche darstellen, mit geschmeidigem Tonansatz, voll-strömenden Phrasen und brillanten Koloraturen. Als einzig überflüssigen Regie-Gag muss sie ihre Schlussarie im zweiten Akt „Ogni vento ch’al porto lo spinga“ als Song-Contest-Beitrag ins Mikrofon singen, was klanglich mit Abstrichen verbunden ist. Nachdenken auslösend ist hingegen der Schluss des Abends, wenn statt einer Ehespenderin (laut Libretto Juno als Dea ex Machina) die vormalige Strippenzieherin Agrippina allein gelassen auf der Bühne zurückbleibt. Denn Poppea und Ottone finden endgültig zueinander, während Nero zum sich rasch emanzipierenden, neuen Mächtigen wird.

Großartig besetzt mit drei Countertenören sind die Rollen des Nerone, Ottone und Narciso. Iestyn Davies als Ottone gebührt dabei dank seiner körperhaft und doch elegant-weichen Stimme die Krone. Höhepunkt des Abends bildet seine herzzerreissende Klage „Voi ch’udite il mio lamento“ am Ende des ersten Teils. Er versteht die Welt nicht mehr: Erst soll er als Retter Claudios Kaiser werden, dann verliert er die Gunst der Mächtigen und seiner Geliebten Poppea und wird von den Höflingen mit Füßen getreten.

Franco Fagioli, der als Nerone sein Münchner Hausdebüt gibt, darf bei zirzensischen Koloraturen und Verzierungen so richtig aus seiner stimmlichen Schatzkiste zaubern, kann aber auch andere Seiten zeigen. Sanft-timbriert und agierend auf ähnlichem Niveau wie seine beiden Kollegen komplettiert Eric Jurenas das Counter-Dreigestirn. Andrea Mastroni ist daneben ein substanzvoller Pallante, während man sich Gianluca Buratto als Claudio ein bisschen beweglicher wünschte. Markus Suihkonen komplettiert das Ensemble als Lesbo.

Dank Ivor Bolton am Pult einer um ein Continuo-Ensemble ergänzten Kleinformation des Bayerischen Staatsorchesters ist auch im Graben die nötige Biegsamkeit bei vitaler Artikulation zu hören. Und das verbunden einem wohligen, warmen Grundklang.

Weitere Vorstellungen: 28. und 30 Juli. Die heutige Aufführung (28.7.) wird live auf www.staatsoper.de übertragen.
Die Produktion ist vom 23. September bis 11. Oktober in neuer Besetzung in London zu sehen (u. a. Joyce Di Donato als Agrippina, www.roh.org.uk) und zu einem späteren Zeitpunkt in Hamburg
Bilder: Bayerische Staatsoper / Wilfried Hösl

 

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