Fleischreiche Kost
REST DER WELT / ZÜRICH / SWEENY TODD
11/12/18 Dem ein oder anderen Besucher wird am Sonntag (9.12.) nach der bejubelten Premiere von Stephen Sondheims Musical-Thriller die Lust auf Schinken und Salami vergangen sein, nachdem Sweeney Todd und seine Komplizin Mrs. Lovett Männern am Fliessband die Kehle durchgeschnitten und sie dann zu Fleischpasteten verarbeitet haben. Besser man verpflegt sich vor der Aufführung.
Von Oliver Schneider
Der Mörderbarbier Sweeney Todd treibt nun also auch in Zürich sein Unwesen: Das Musical von Stephen Sondheim ist in einer Neuinszenierung von Andreas Homoki mit Bryn Terfel und Angelika Kirchschlager zu sehen.
Der Barbier Benjamin Barker war zu Unrecht von Richter Turpin nach Australien verbannt worden, weil dieser es auf Barkers hübsche Frau Lucy abgesehen hatte. Nachdem Turpin Lucy vergewaltigt und sie Gift genommen hatte, nahm er ihre Tochter Johanna zu sich als Mündel. Nun ist Barker als Sweeney Tod zurückgekehrt, um sich zu rächen.
In Mrs. Lovett findet er eine willige Helferin: Sie führt mehr schlecht als recht im hungernden, sich industrialisierenden London eine Bäckerei unterhalb von Barkers ehemaligem Barbiersalon. Ungeniessbare Fleischpasteten stellt sie her, denn mehr als tote Ratten stehen ihr nicht zur Verfügung. Todd zieht wieder über ihr ein, nicht ahnend, dass sie schon früher ein Auge auf ihn geworfen hatte. Erkannt wird er aber nicht nur von ihr, sondern auch von seinem ehemaligen Gehilfen Daniel O'Higgins, der ähnlich einem Dulcamara in Donizettis Liebestrank als Quacksalber Pirelli den Londonern ein Wunderelixier für lange blonde Haare aufschwatzt: Sondheim hat sich dafür musikalisch von Rossinis Barbiere inspirieren lassen. Barry Banks spielt und singt den Wunderbarbier mit elektrisierendem, komödiantischem Feuer.
Als aber O'Higgins Todd in seinem Salon mit seiner Vergangenheit erpressen will, macht der Zurückgekehrte kurzen Prozess mit ihm. Und Mrs. Lovett verarbeitet ihn anschliessend zu Pastete, die bei den nach Fleisch gierenden Londonern reißenden Absatz findet. Ein neues Geschäft ist geboren
In scheinbar harmloser Walzerseligkeit singen Terfel und Kirchschlager im Duett, wer noch alles zur Pastetenfüllung verarbeitet werden könnte. Bischofspastete soll es selbstverständlich nur am Sonntag geben. Während aber Todd die Opfer nur zu Übungszwecken töten will, um schlussendlich seinen Erzfeind Turpin (mit Schwärze Brindley Sherratt) auch wirklich zu beseitigen, geht es Mrs. Lovett ums Geschäft. Skrupellos geht sie dafür wörtlich über Leichen, wobei Regisseur Andreas Homoki sie wie eine nette ältere Dame anlegt, der das leibliche Wohl ihrer Mitmenschen am Herzen liegt.
Für die Kirchschlager ist der Abend ihr Rollendebüt als Mrs. Lovett - und sie feiert es mit perfekter Musical-Bruststimme und ein bisschen Broadway-Show, während Terfel dank seiner Erfahrungen in New York und London fast schon ein Routinier als dämonischer Barbier ist.
Homoki rückt Sondheims Musical in die Nähe von Brechts Moritaten mit erzählendem Chor (Einstudierung: Janko Kastelic) und grell überzeichneten Protagonisten. Im Theater-im-Theater-Ansatz wird auf einer schmalen Holzbühne oder darunter gespielt, wo sich Mrs. Lovetts Bäckerei befindet (Gesamtausstattung: Michael Levine, Licht: Franck Evin). Wenn die Opfer reihenweise vom klappbaren Barbierstuhl in den Fleischwolf fallen, einem perfekten Symbol für die Industrialisierung, fühlt man sich vom Duo Infernale nur noch abgestossen.
Dass die Realität teilweise nicht so weit davon weg ist, wird einem mit der Programmheftlektüre wieder bewusst. Gleichwohl hat das Werk seine Längen. Das liegt – trotz aller Anleihen bei Carl Orff (für die Chöre), Rossini, Puccini oder beim Jazz – an der mit der Zeit doch sehr eindimensionalen Musik. Gesungen – und vor allem gesprochen – wird mit Verstärkung, was der Textverständlichkeit guttut. Das Zürcher Ensemble ist aber durch das Band ein perfekter Musical-Cast. Der Sondheim-erfahrene David Charles Abell leitet die Philharmonia Zürich, der der Ausflug in das Genre hörbar Spass macht.
Ein bisschen Musical bleibt der Abend dank Todds Reisebegleiter aus Australien, Anthony, der sich – wie Almaviva in Rosina im Barbiere – in Johanna verliebt. Elliot Madore und Mélissa Petit sind ein Liebespaar wie aus dem Bilderbuch, das schlussendlich Todds Rache entgeht und fliehen kann.
Sweeney Todd - weitere Vorstellungen 13., 16., 21., 23., 28. und 30. Dezember 2018 sowie am 2., 5. und 11. Jänner 2019 - www.opernhaus.ch
Bilder:Opernhaus Zürich / Monika Rittershaus