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Von den Mäusen und dem Grauen im Elysium

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03/07/16 Bis zur Ausgrenzung durch die Nationalsozialisten gehörte der österreichische Komponist Franz Schreker mit seiner sehnsüchtig-üppigen Klangsprache zu den meistaufgeführten Komponisten seiner Zeit. Doch anders als bei den Vertretern der Zweiten Wiener Schule als Wegbereitern der Moderne erlebte sein Oeuvre nur punktuell nach 1945 ein Revival (2005 bei den Salzburger Festspielen).

Oliver Schneider

Krzysztof Warlikowski holt die im Renaissance-Zeitalter angesiedelte, vom Wiener Fin de Siècle und von Sigmund Freuds Psychoanalyse geprägte Beziehung des physisch und psychisch missgestalteten Salvago und der Künstlerin Carlotta Nardi ins Heute. In einem schwarzen, mit Chromstahl-Möbeln kühl ausgestatten Clubraum mokieren sich Salvagos Macho-Freunde, dass dieser sein bisher nur ihnen zugängliches „Elysium“ der Bevölkerung öffnen will. Verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit, können sie dort wüste Orgien feiern. Der übelste unter ihnen ist der schöne Graf Andrae Vitelozzo Tamare, der wegen Salvagos Plan beim Herzog interveniert. Weil der Herzog eigentlich aber kein Deut besser ist, durchschaut er zwar, was gespielt wird, will aber nur den Hintermann strafen. Denn er erkennt, dass die Schänder psychologisch als Stellvertreter Salvagos handeln, der seine sexuellen Wünsche aufgrund seiner Gestalt unterdrückt und die Edelmänner für ihn handeln lässt. Gut überlegt zeigt Warlikowski den Herzog als potenten, gut trainierten Boxer, der sich im Ring von Salvagos „Freunden“ anfeuern lässt (auch stimmlich kraftvoll Tomasz Konieczny).

Auf andere Weise unterdrückt Carlotta Nardi, die Tochter des Podestà Lodovico Nardi (spröde Alastair Miles), ihre erotischen Begierden. Sie malt Hände als Symbol für ihre unterdrückte Liebe und ihre Sehnsucht nach Berührungen. Indem Carlotta Salvago in ihr Atelier lotst, unternimmt sie einen ersten Schritt, um ihre erotische Sehnsucht zu stillen. Sie erzählt ihm indirekt aus ihrem Inneren, indem sie dafür eine fiktive Freundin schafft. Das Regieteam lässt dies durch „Mäuse“ nachspielen (Video: Denis Guéguin), was dem Ganzen den Charakter eine Versuchsanordnung gibt. In der zentralen Schlußszene des zweiten Akts gestehen sich die beiden ihre Liebe und lassen damit ihren Wünschen freien Lauf.

Zu Mäusen wird auch das das Elysium bestaunende Volk im letzten Akt, in dem die Inszenierung ihren nüchternen Charakter als Gegenpol zur Musik aufgibt und ins Bildmächtige abgleitet. Dass das Volk zu Mäusen wird, ist seit Hans Neuenfels‘ Bayreuther Lohengrin – die Ratten! – nichts Neues. Salvago rezitiert vor Einsetzen der Musik Schrekers Selbstbild, wozu eine Rubens-Schönheit lasziv posiert. Warlikowski verleiht Salvago damit biographischen Charakter. Dem Zuschauer hält er das eigene Innere vor, indem bereits vor Beginn und des Öfteren im Laufe des Abends der Zuschauerraum des Nationaltheaters gespiegelt wird.

Salvagos Elysium ist ein Kunstraum, in dem sich unter anderem uniforme nackte Wesen auf Spitzenschuhen abmühen (Choreographie: Claude Bardouil). Hier lässt sich Carlotta von Tamares verführen, nachdem sie seinen ersten Versuchen widerstanden hatte. Dass sie dafür mit dem Tod bezahlen muss, nimmt sie in Kauf. Schreker untermalt die Grauen musikalisch, während der Regisseur dazu immer noch Grauen erregende Ausschnitte aus Horrorfilmen unter („Nosferatu“, „Frankenstein“ u. a.) zeigt. Salvago tötet seinen Widersacher, der nur die andere Seite seines Ich darstellt. Als er die Sinnlosigkeit erkennen muss, weil Carlotta ihn liebte, verfällt er dem Wahnsinn und bedeckt sein Haupt mit einem Tuch – wie zu Beginn des Abends –, um seine Hässlichkeit zu verbergen.

John Daszak gelingt in der Titelpartie eine Charakterzeichnung von bestürzender Eindringlichkeit. Das Gleiche darf man von Catherine Naglestads Carlotta sagen, die in den Steigerungen hochdramatische Größe entfaltet. Christopher Maltman gibt den dämonisch-erotomanen Tamare mit maskulinem Timbre. Jede noch so kleine Partie ist in dieser Produktion hervorragend besetzt, Chor und Kinderchor des Hauses sind gut präpariert (Sören Eckhoff, Stellario Fagone). Die Krönung erfährt der Abend durch Ingo Metzmachers Dirigat. Gemeinsam mit den Musikerinnen und Musikern des Staatsorchesters bringt er Schrekers Vielfalt sinnlicher Klangfarben durchhörbar zum Leuchten. Das dichte, überinstrumentierte Geflecht aus Leitmotiven ist so ausbalanciert, dass die Protagonisten in ihrem oft deklamierenden Gesang nicht überfordert werden.

„Die Gezeichneten“ sind ein Werk, das den Rahmen von Festspielen benötigt. Ins ständige Repertoire wird es nicht nur wegen des nötigen Aufwands nicht zurückkehren. Zu schwülstig-überspannt wirkt die Musik, zu stark fokussiert auf den orchestralen Part ist die Partitur und das Libretto (des Komponisten) stellenweise nur mehr schwer verdaulich.

Weitere Vorstellungen am 4., 7. und 11. Juli im Rahmen der Münchner Opernfestspiele. Am 12., 15. und 19. Mai 2018 (mit Markus Stenz am Pult) – www.staatsoper.de

 

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