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Gefangen in den Konventionen

REST DER WELT / ZÜRICH / WERTHER

05/04/17 Tenorlegenden wie Plácido Domingo oder Alfredo Kraus haben als Werther reüssiert, genauso wie in den letzten Jahren Jonas Kaufmann oder Piotr Beczala. Auch Juan-Diego Flórez hat die Partie in sein Repertoire aufgenommen. Nach einer konzertanten Produktion in Paris vor einem Jahr und einem ersten szenischen Versuch Ende 2016 in Bologna steht er nun im Opernhaus Zürich als unglücklich die mit Albert verheiratete Charlotte Liebender auf der Bühne.

Von Oliver Schneider

In den schwärmerischen, leidenschaftlichen Momenten spürt man, wie sich der Tenorissimo des Belcantos auch in diesem Repertoire zu Haus fühlt. Sehr schön gelingen auch die Piano-Phrasen, in denen Floréz‘ Stimme aufblüht. Und doch kann er nur teilweise überzeugen, denn ein Werther muss auch ausreichend Kraft für die emotionalen Ausbrüche im zweiten und dritten Akt haben. Hier stößt Floréz (noch) an seine Grenzen, muß forcieren, sodass seine Stimme ihre Strahlkraft verliert. Auch darstellerisch darf er noch zulegen. Wenn Werther erkennen muß, dass Charlotte Albert nicht für ihn verlassen wird, und er den Entschluss zum Selbstmord fällt, lässt Regisseurin Tatjana Gürbaca ihn dazu Holzplatten aus dem Boden reißen. Als Zeichen dafür, dass Werther die bürgerliche Ordnung mit seinem Tun aufrütteln will, wobei Floréz aber zu kontrolliert, zu brav wirkt.

Anders als bei vorhergehenden Inszenierungen in Zürich gab es für Gürbaca vom Premierenpublikum mehrheitlich Zustimmung. Zu Recht. Zeitlos lassen sie und ihr Team (Bühne/Licht: Klaus Grünberg, Kostüme: Silke Willrett) das Drama in einer holzgetäfelten, sich perspektivisch nach hinten verjüngenden Stube spielen. Die Fenster und Türen bleiben fast bis zum vierten Akt geschlossen, denn die Wetzlarer Familie des Amtmanns (rollendeckend Cheyne Davidson) ist in einer geistig beschränkten und durch gesellschaftliche Konventionen begrenzenden Welt sozialisiert. Ein Werther hat hier keinen Platz. Männer und Frauen haben ihre festen Rollen.

Als Charlotte gibt die Mezzosopranistin Anna Stépany, die mittlerweile karrieremäßig durchstartet, ihr Rollendebüt. In den ersten beiden Akten wirkt sie noch etwas blass, bevor sie sich dann durchschlagskräftig im dritten Akt am Heiligen Abend beim Lesen von Werthers Briefen eingestehen muß, wie sehr sie Werther liebt. Ein Bäumchen wäre noch zu schmücken, aber Charlotte lässt ihrem inneren Schmerz, ihrer Wut auf sich selbst und die Welt freien Lauf und zertritt die bunten Weihnachtskugeln.

Ihre jüngere Schwester Sophie, die bei Gürbaca der Enge Wetzlars entflohen ist und vielleicht ihr Glück der Kleidung nach in der weiten Welt gefunden hat, kommt mit Geschenken für die große Schwester zurück. Die Ursache für das Leid der Schwester kennt sie sehr wohl; auch sie hat etwas für Werther übrig. Mélissa Petit erfasst das Wesen der kleinen, lebenserfahrenen Schwester punktgenau.

Auch Ehemann Albert hat die Geschichte durchschaut: Aus dem gutmütigen Ehemann im ersten Akt ist im dritten Akt ein eifersüchtiger, bedrohlicher Golaud geworden (souverän Audun Iversen), der schlussendlich rasend die von Werther gewünschten Pistolen für den Selbstmord selbst dem Diener übergibt, anstatt dass dies auf sein Geheiß hin Charlotte macht.

Mit seinem Selbstmord verunmöglicht Werther zwar endgültig ein Leben mit Charlotte, aber gleichwohl lässt er beide ihre Freiheit erlangen. Denn erst jetzt kann auch Charlotte sich ihre Liebe zu Werther eingestehen. Und beide sehen in Zürich im Traum ein älteres Paar – eine Prinzessin und ihren Indianer –, das glücklich gemeinsam das Leben beenden darf. Dazu öffnen sich Fenster und Türen der Stube. Als Charlotte und Werther im ersten Akt von einem Ball zurückkommen, sind sie selbst die junge Prinzessin und der junge Winnetou.

Unter der Leitung von Cornelius Meister entfaltet die Philharmonia Zürich einen intensiven, mitreißenden und selbstbewussten Klang. Während er die Soloinstrumente (sehr gut das Saxofon) immer wieder plastisch hervortreten lässt, dürfen die Musikerinnen und Musiker in den emphatischen Passagen richtig schwelgen. Den Sängern zuliebe wäre es aber besser, Meister würde die Zügel ein bisschen stärker anziehen.

Aufführungen bis 30. April – www.opernhaus.ch
Bilder: Opernhaus Zürich / Herwig Prammer

 

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