Verona ist nicht nur Arena
REISEKULTUR / VERONA
26/07/16 Im Sommer pilgert man wieder nach Verona – aber es ist nicht mehr so, dass die Opernfestspiele (es sind die 94.) die Massen anziehen. Der Ansturm, wie er früher einmal war, wo sich die Massen schon vor Öffnung der Eingangstore anstellten und nach guten Plätzen drängelten, ist Geschichte.
Von Wolfgang Stern
Freilich ist die Stadt nach wie vor voll mit Touristen. Vor allem aus dem asiatischen Raum kommen viele Besucher, um auf den Spuren von Romeo und Julia zu flanieren und auf oder unter dem berühmten Balkon zu stehen, wo immer wieder die eine oder andere Versprechung fürs Leben abgegeben wird. Manche Straßen der Innenstadt sind übervoll. Bei diversen Sehenswürdigkeiten erster Güte hat man dagegen ausreichend Luft zum Atmen.
Hier in Verona begegnen einander Kunst- und Musikexperten, Ausflügler und Konsumenten des Opernspektakels, das seit 1913 Massen anzieht. Ein Großteil dieser Besucher konsumiert Openair-Oper und verflüchtigt sich unter Tag eher zum Gardasee. Eher weniger Besucher sind in der Stadt unterwegs, um die Kunstraritäten, von denen es eine Fülle gibt, zu erkunden.
Es war gar nicht so sicher, ob 2016 in der Arena überhaupt festgespielt wird. Rund 25 Millionen Euro Schulden hatte die Stiftung, die für das Finanzielle verantwortlich war, angesammelt. Eine straffere Haushaltung und die Stadtverwaltung von Verona retteten die Saison, sodass der Spielplan „normal“ umgesetzt werden kann. Der Sonderverwalter der Arena, Carlo Fuortes, wurde von der Regierung beauftragt, einen Rationalisierungsplan zu erstellen und diese Krise in den nächsten paar Jahren zu bewältigen.
Carmen, Aida und Traviata waren in diesem Jahr die ersten Aufführungen, wobei Mitte Juli viele Plätze (teure und billige) leer blieben.
Von der Traviata wurde an dieser Stelle bereits berichtet. Clarissa Leonardi als Flora und Nino Machaidze als Violetta stahlen am 12.7. den Männern die Show und waren rechte Publikumslieblinge. Auch dann folgten Tage der Damen, denn Irina Lungu – Preisträgerin des Tschaikowsky-Wettbewerbes, des Operalia Wettbewerbes von Plácido Domingo oder des Belvedere-Wettbewerbes in Wien – brillierte am als Micaela in Bizets Carmen. Übrigens debütierte sie 2015 als Violetta an der Wiener Staatsoper. Und Carmen Topciu als Carmen war ebenfalls in bester Stimmlaune, vor allem im letzten Akt. Der hohe Level setzte sich bei der Aida fort. Eine alles überragende Amneris gab es durch Luciana D´Intino in der bekannten Edizione storica aus dem Jahre 1913, damals eine Aufführung anlässlich des 100. Geburtstages von Giuseppe Verdi. Julian Kovatchev am Pult zeigte sich als penibler Freiluftkenner bei Carmen und Aida und hatte maßgeblich neben dem großartigen Chor zum Erfolg der Spektakel beigetragen. Man kann nur hoffen, dass Verona weiterlebt und die finanziellen Schwierigkeiten baldigst beseitigt werden können.
In Verona begegnet man Antike, Mittelalter und Renaissance. Es war ein Glücksfall, dass die Stadt zum Knotenpunkt der Via Claudia Augusta (N-S) und der Via Postumia (O-W) wurde. Im 13. und 14. Jahrhundert waren es die Scaliger, die bedeutende Baumaßnahmen veranlassten und die Stadt aufblühen ließen. Es gibt kaum schönere Plätze als die Piazza delle Erbe, den alten Marktplatz von Verona. Es sind großartige Paläste (z.B. der Palazzo del Comune oder der Palazzo Maffei), Türme (erwähnenswert in jedem Fall der Torre die Lamberti), Kirchen (Duomo S. Maria Matricolare, Sant´ Anastasia, San Fermo oder San Zeno) und die Stadtmauer, die das Stadtbild prägen. Und die mittelalterliche Burganlage Castelvecchio, an der venezianische und österreichische Spuren zu erkennen sind, darf keinesfalls unerwähnt bleiben. Deren Kunstsammlung beinhaltet Werke von Pisanello, Bellini, Mantegna oder Veronese. In den Kirchen findet man bedeutende Gemälde italienischer Künstler. Man geht eigentlich von Museum zu Museum und insgesamt durch ein Freilichtmuseum, für das man sich leider oft zu wenig Zeit nimmt. – Einfach durch die Stadt lustwandeln, Fassaden bestaunen, Plätze bewundern, das Flair genießen und zwischendurch einmal einen Aperol Spritz oder Cappuccino zu sich nehmen…..
Bei längerem Aufenthalt ist ein Ausflug in die Umgebung Pflicht. Um der Hitze zu entweichen, ist der Norden eher zu empfehlen. Unweit von Verona liegt das reizende Örtchen Soava. Man sieht meist beim Vorbeifahren von der Autobahn aus die imposante Stadtfestung aus dem 13. Jahrhundert. Kaum Touristen verirren sich hierher, sodass man den Ort noch viel beschaulicher erleben kann. Und von hier ist es ein Katzensprung in die Valpolicella, wo der Weinbau (Rotwein Valpolicella) dominiert. Eine liebliche Gegend, die in Richtung Norden ansteigt und so manche Überraschung birgt. Es sind Villen (z.B. Palladios Villa Serego Boccoli in Pedemonte) und Kirchen, die beschaulich dastehen, es sind berühmte Weingüter (z.B. Trabucchi in Illasi), die zur Kostprobe einladen, es sind stille Orte, wo man sehr gut und billig essen kann (z.B. am Platz von Velo Veronese, einem kleinen Dorf auf ca. 1000 m). Die Hügellandschaft am Fuße der Lessinischen Alpen lädt ein zum Verweilen und bietet im Gegensatz zu Verona Stille und herrliche (kühlere) Luft auf rund 800 bis 1100 Meter Seehöhe. Und wer gerne wandert, dem bieten sich herrliche Wege durch Weingärten und Wälder an. Man kann in dieser Gegend Kraft tanken, um das nächste Spektakel in der Arena, womöglich bei nahezu 40 Grad C, zu überstehen.