Ein Volk findet seine Identität
REISEKULTUR / ARMENIEN (2)
19/12/14 Groß ist die Auswahl, will man armenische Kirchen und Museen zu besichtigen. Jerevan als Standort (es liegt auf ca. 1000 m Seehöhe) bietet sich an. Von hier aus kann man das Land in alle Windrichtungen zu bereisen.
Von Wolfgang Stern
Bleiben wir zuerst in Jerevan, der Hauptstadt, wo ungefähr ein Drittel der Gesamtbevölkerung des Landes wohnt. Es sind einige Museen, die unbedingt besichtigt werden sollen. Da ist es einmal das aus Basalt errichtete Matenadaran (übersetzt Bibliothek), zu dem Mesrop Maschtots (Begründer der armenischen Schrift) Hand hinweist. Was man hier an alten Schriften sehen kann, ist beeindruckend. Der ideelle Wert dieser Sammlung ist besonders wichtig für Tradition und Geschichte eines Volkes, das es nie leicht hatte. Die Quelle von über 15 Jahrhunderten Literatur ist gleichzeitig ein Anziehungspunkt für Wissenschafter aus aller Welt.
Ein Pflichtbesuch sollte auch das historische Museum sein, wenn man etwas tiefer in die Geschichte Armeniens eindringen will. Exponate von der Frühzeit bis zur Gegenwart sind hier sehr schön präsentiert. Von Bronzefiguren, Keramik, Schmuck, Waffen, Teppichen, Steinmetzarbeiten (besonders schöne Steinkreuze), Gegenständen aus dem religiösen Leben und Teilen aus Kirchen und diversen Reliefs findet man in drei Stockwerken Feinstes vom Feinen.
In diesem Gebäude am Republikplatz, dem Zentrum der Stadt, befindet sich noch die Gemäldegalerie, wo man Überraschungen erleben kann: Boticelli, Carnaletto, Kandinsky, Monet und viele Vertreter der europäischen Malerei sind ebenso zu finden wie bedeutende russische oder armenische Künstler. Ivan K. Aivasovsky (1817 – 1900) ist einer von vielen Malern Armeniens, der Beachtung finden soll.
Sternförmig kann man von Jerevan aus das Land erkunden, wobei man bei einer Entfernung von rund 100 km von der Hauptstadt eine vielseitige Landschaft zwischen Aragat (dem höchsten Berg Armeniens) und dem Ararat (dem höchster Berg der Türkei) zwischen ewigem Schnee und einer großen Obstkultur (Weintrauben, Aprikosen, Apfelplantagen,…) vorfindet. Der Zustand der Straßen ist unterschiedlich, von sehr schlecht bis zu neuen vierspurigen Highways gibt’s alles.
Ca. 20 km westlich der Hauptstadt (man sollte hier am Sonntag wegen der großartigen Gottesdienste unterwegs sein) liegt Edschmiatsin, das religiöse Zentrum des armenischen Christentums. Die Kathedrale zählt zu den ältesten Beispielen des Christentums der Region (Anfang 4. Jahrhundert). Erst langsam entwickelte sich nach dem Zerfall der Sowjetunion ein religiöses Leben. Mit Renovierungen ist man noch intensiv beschäftigt. Aber es gerät, und der Zusammenhalt des armenischen Volkes lässt für die Zukunft hoffen, obwohl die wirtschaftliche Lage nicht rosig und und besonders die Arbeitslosigkeit der Jugend sehr hoch ist. Unweit der Kathedrale liegen die sehenswerten Kirchen der heiligen Gajane und der heiligen Hriphsime. Letztere ist ein sehr typischer Bau im armenischen Stil.
Von den ehemaligen Wehrklöstern nördlich von Yerevan sind Hovhanavankh und Saghmosavankh schon wegen der tollen Lage am Abgrund zum Fluss Khasach zu erwähnen. Hier gibt es eine Art Klösterstrasse.
Weiter nördlich (ca. 70 km) liegt der auf 1900 m Höhe gelegene Sevansee, im Sommer Ausflugsziel der Großstädter. Mit fast 80 km Länge und rund 55 km Breite ist er weit größer als der Plattensee in Ungarn. Das Sevankloster, die alten Steinkreuze, die Lage auf der Halbinsel – das tut dem Auge gut, nicht jedoch die am Strand teils verfallenen und verkommenen und verrosteten Anwesen oder gefährliche Stege am Wasser.
Wer ins Gebirge in Richtung Aragats (4095 m) will, kommt zu einer geschichtsträchtigen Festung namens Amberd, deren erste Erwähnung aus dem 7. Jahrhundert stammt. Auf fast 2500 m Seehöhe hat man einen tollen Rundblick über das zerklüftete Land.
In östlicher Richtung liegt ganz nahe dem Ararat und am Grenzfluss Arax zur Türkei (noch immer abgeriegelt mit Stacheldraht und Militärposten) das Kloster Chor Virap. Es ist eng verknüpft mit einer Legende über den heiligen Grigor. Entlang der aserbaidschanischen Grenze kommt man über einen Pass zum wohl schönsten Kloster meiner Reise, nach Noravankh. Einsam und abgeschieden liegt es am Ende einer Schlucht. Die Anlage überrascht und fasziniert zugleich. Übrigens ist die Küche im angrenzenden Restaurant sehr zu empfehlen.
Und noch zwei ca. 50 km von der Hauptstadt entfernte Orte sollte man nicht auslassen: Der Sonnentempel von Garni, den der armenische König Trdat I. im 1. Jahrhundert nach Christus im griechisch-römischen Stil erbauen ließ, und etwas weiter dann das berühmte Höhlenkloster von Geghard, in traumhafter Lage am Ende des Azattales gelegen.