Ritterromane und eine Linzer Torte
REISEKULTUR / KLOSTERBIBLIOTHEKEN
29/04/22 Nahezu alle Stifte und Klöster, die sich im touristischen Verbund Klösterreich gemeinsam vermarkten, haben einen wertvollen Schatz: Bücher. Zigtausende von Bänden werden in den Klosterbibliotheken gesammelt und bewahrt – das gespeicherte Wissen von Jahrhunderten aus sämtlichen Bereichen.
„Wir haben nicht nur theologische Bücher“, räumt Pater August Janisch von Stift Rein in der Steiermark mit einem Vorurteil auf, „sondern beispielsweise auch einen Frühdruck der Werke Shakespeares oder eine Anleitung, wie man Pferde kuriert.“ Als geistliche Zentren und Bildungsstätten fungierten die Klöster bereits früh als Wissensvermittler.
Wer heute im Stift Admont die – von ihren räumlichen Dimensionen – größte Klosterbibliothek der Welt besichtigt, kann sich kaum vorstellen, wie mühsam der Beginn dieser Universalbibliothek war. Mit einigen wenigen Büchern, die sie aus Salzburg mitbrachten, nahmen die ersten Mönchen 1074 ihr klösterliches Leben im neu gegründeten Stift auf. Durch Schenkungen, Erwerbungen und Tausch vergrößerte sich nach und nach der Buchbestand. Zudem fertigten die Brüder im Skriptorium, der Schreibstube, zahlreiche Werke an. Die Handschriften mit prächtigen Buchmalereien wurden für den eigenen Gebrauch und für andere Klöster angefertigt. Immer wieder machen Forschende bemerkenswerte Funde in dem umfangreichen Archiv des Stiftes Admont. So tauchten vor kurzem Teile des Abrogans, eines ca. 1.200 Jahre alten lateinisch-deutschen Wörterbuches. Auch auf das älteste Rezept für eine Linzer Torte ist man hier gestoßen.
Zu den ältesten und eindrucksvollsten Klosterbibliotheken Österreichs zählt die Bibliothek des Stiftes St. Florian. Bis zum Deckenfresko erstrecken sich die mächtigen Bücherregale in dem spätbarocken Hauptsaal, der bei vielen Besucherinnen und Besuchern die Erinnerung an die Schlossbibliothek im Disneyfilm Die Schöne und das Biest weckt. „Ich erinnere mich, dass eine französische Bloggerin das erste Mal diesen Vergleich zog“, so Stiftsbibliothekar Friedrich Buchmayr. „Immer wieder kommen Gäste, die dem Moment, in dem sich die Tür zur Bibliothek öffnet, entgegenfiebern und sehr begeistert von diesem Raum sind. Auch, wenn es etwas kurios ist, freut es mich dennoch, wenn Menschen auf diese Weise einen Bezug zu Büchern bekommen.“
Die Stiftsbibliothek von St. Florian beherbergt etwa 150.000 Bände, darunter achthundert mittelalterliche Handschriften, eine der größten Sammlungen arabischer Literatur in Europa und eine Riesenbibel. Letztere wurde im 12. Jahrhundert im Stift St. Florian angefertigt, wiegt 40 kg und ist aufgeschlagen einen Meter breit. Das wertvolle Stück wird in einem Tresor verwahrt und nur zu bestimmten Anlässen gezeigt. In diesem Jahr ist eine Sonderausstellung zum 150. Todestag des Historikers Jodok Stülz zu sehen, der Propst im Stift St. Florian war. Er entdeckte Fragmente des Ritterromans Ruodlieb aus dem 11. Jahrhundert und sammelte die ältesten Geschichtsquellen, die noch heute unentbehrlich für Forschende sind. In den Vitrinen der Bibliothek können die Gäste die fünf Bände dieses wichtigen Urkunden-Buches und einen Brief des Dichters Hoffmann von Fallersleben an Stülz entdecken, der den Historiker um eine Abschrift des Ritterromans bat. Da die Lagerungsbedingungen in früheren Zeiten nicht immer optimal waren, werden im Stift St. Florian ständig Restaurierungen an den Bänden durchgeführt. Durch Buch-Patenschaften können Interessierte diese Arbeit unterstützen.
Im Stift Rein nahe Graz, dem ältesten ohne Unterbrechung bewohnten Zisterzienserkloster der Welt, hat Pater August Janisch ebenfalls eine Liste von Büchern, die dringend einer Restaurierung bedürfen. Buch-Patinnen und -Paten erhalten eine persönliche Urkunde und auch im restaurierten Werk wird die Spende dokumentiert. „Buch-Patenschaften retten Wissen und sie sind einzigartig“, betont Pater August, „manche verschenken sie zu besonderen Anlässen wie Taufen oder Jubiläen“. Bei einem Rundgang durch den prunkvollen Schauraum zwischen Basilika und Bibliothekstrakt können Gäste einen Teil der ca. 100.000 Bände von Stift Rein bewundern. Beispielsweise den Ritterroman Theuerdank aus dem Jahr 1517 oder ein Faksimile des Reiner Musterbuches. Dabei handelt es sich um das älteste erhaltene Skizzenbuch des Mittelalters, das Szenen des Alltags, Tierdarstellungen oder Anfangsbuchstaben enthält. Wie kunstvoll und detailiert Buchmalereien erstellt wurden, kann man an dem Antiphonale bewundern. Die größte und schwerste Handschrift von Stift Rein entstand um 1420 mit faszinierenden Initialien. Als Reformorden verzichteten die Zisterzienser im Gegensatz zu den Benediktinern auf Gold in ihren Büchern.
Einen besonderen Reiz und Stellenwert hat die große Bibliothek des Stiftes St. Paul in Kärnten: Die historischen Werke sind in einer modernen Regalarchitektur in den alten Gewölben untergebracht – ein faszinierender Kontrast. Aufgrund dieser Mischung hat die Bibliothek ihren ganz eigenen außergewöhnlichen Charme und besticht zudem noch mit ihrer Weitläufigkeit. Rund zwei Kilometer Bücherregale sind mit Bänden der Theologie, Philosophie, Medizin, Rechtsprechung und Naturwissenschaften gefüllt. Über eine Wendeltreppe erreicht man eine Etage darüber die Sammlung der Handschriften und Inkunabeln, die das Stift St. Paul nach der Nationalbibliothek zur bedeutendsten Büchersammlung Österreichs machen. Das älteste Buch des Landes, der Ambrosius-Codex De fide catholica aus dem frühen 5. Jahrhundert ist eines der wichtigsten Zeugnisse der Schreibkunst, die Stift St. Paul dank seiner umfangreichen Handschriftensammlung lückenlos bis ins 18. Jahrhundert dokumentieren kann. (Klösterreich / dpk)
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Bilder: Klösterreich / Stift Rein (1); Stift St. Florian, Pedagrafie (1), Werner Kerschbaummayr (1); Stift St. Paul (2)