Reich zu tränen pflegt das Aug' der Liebe
OSTERFESTSPIELE / LIEDERABEND
25/03/24 „Mein Schatz ist nicht da, ist weit überm See. Und so oft ich dran denk, tut mir's Herz so weh.“ So einfach ist das in den Deutschen Volksliedern. Für die Lied-Dioskuren Christian Gerhaher und Gerold Huber war dies der Ausgangspunkt vom Lapidaren zum denkbar Hintergründigsten im Liedschaffen von Johannes Brahms.
Von Reinhard Kriechbaum
Gleich nach dem Herzschmerz ob der Abwesenheit eine deutlich schmerzhaftere Blindstelle: „Das hätt' ich mir nicht gebildet ein, / Dass mein Schatz so falsch könnt' sein.“ So nachzulesen im Wunderhorn-Lied Der Überläufer. Nomen ist böses Omen. Im günstigeren Fall noch hat der Schatz das Zeitliche gesegnet, dann haben die Tränen wenigstens einen bestimmbaren Ort, wohin sie fließen können. Trauer um die amourösen Luftikusse erfordert gefinkeltere Strategien angewandter Poesie. Mehrheitlich hinein in solch dustere Ecken gequälter Seelen haben Christian Gerhaher und Gerold Huber am Sonntag (24.3.) das Osterfestspiel-Publikum im Haus für Mozart mitgenommen. Gerhaher-erfahrene Hörer wissen: Die Notrufnummer zum Seelenklempner gehört in die Hand- oder Sakkotasche. In diesem Fall wären für weniger Gefestigte oder akut Betroffene Paartherapeuten die erste Wahl gewesen.
Aber zuerst einmal ist es ja ein gar wundersames Erlebnis, Christian Gerhaher beim Lied-Erzählen zuzuhören. Wie er Vokalfärbungen und damit das Wesentliche der dichterischen Vorlage herausschält und sich dies idealerweise mit den Erfordernissen der Kantilene trifft, das ist Sonderklasse der Liedkunst. Es hat den Anschein, dass Gerhaher immer mutiger, immer nachdrücklicher diese Ambivalenzen und Potenzen zwischen Dicht- und Liedkunst ins Auge fasst. Wie rafft' ich mich auf (aus op. 32) beschreibt einen, der in der Nacht Richtung Mühlbach wandelt – man befürchtet angesichts der Moll-Trübnis schon das Allerschlimmste. Aber der junge Mann schaut nach oben, unter gefinkeltem pianistischen Geflimmer, das so unverdächtig sinnlich nur Gerold Huber rüber bringt. So weichen allfällige suizidale Anwandlungen purer Zerknirschung ob fehlgeleiteten Zeitaufwands in die Zweisamkeit. Das bringt wiederum nur Gerhaher so eindringlich rüber. Und bleiben wir bei einem anderen Text von August Graf von Platen, Du sprichst, daß ich mich täuschte: „Ich zähle nicht auf neue, getreue Wiederkehr“ ist in Gerhahers Lesart nicht Aufschrei, sondern wird zurückgenommen, zur intimen Resignation verdichtet.
Bei alldem ist es im Einzelnen oft verwunderlich, wie viel große Geste die Kleinform Lied verträgt, etwa im vierteiligen Regenlied-Zyklus (aus op. 59). Viel Manierismus bei den Kindheitserinnerungen – ausgereizt, aber eben nicht über-reizt. Gerhaher und Huber wissen, wo Schluss sein muss mit Expressivität. Dein blaues Auge, das zuerst als glühend beschrieben wird und nach dem Liebesakt doch „wie ein See so kühl“ ist – da würde die an Heines Boshaftigkeit erinnernde Ironie kein zusätzliches Übertreiben zulassen.
Solche Grenzen werden Lied um Lied ausgelotet. Einmal fängt der Pianist mit schlankem Ton, fern aller den Brahms-Klaviersätzen fälschlicherweise nachgesagten Dicklichkeiten, des Sängers Eindringlichkeit auf. Dann überlässt wieder Gerhaher dem Tastenkollegen die Malerei, nimmt er sich zurück. Die musikalische Vertrautheit der beiden miteinander ist Markenzeichen. Das Geheimnis op. 71/3, bewahrt in einem Tonarten-Nirvana der Sonderklasse, wird auratisch greifbar.
Eine 28teilige Brahms-Blütenlese, mündend in Die Kränze op. 46/1, wo es so schön heißt „Reich zu tränen pflegt das Aug' der Liebe“. Nach einem solchen schicksalhaften Weg kann man getrost „angelehnt an die Efeuwand“ noch ordentlich Trauriges nachschicken: Mörikes An eine Äolsharfe als Zugabenstück!
Bilder: www.gerhaher.de / Alexander Basta for Sony BMG Classical