Klingende Erleuchtungen
MOZARTEUMORCHESTER / BOLTON / LARCHER
27/04/12 Ivor Bolton und die Musiker machten aus dem Donnerstagskonzert einen musikalischen Sonntag. So klangfestlich, engagiert, rhythmisch pulsierend und auch feinsinnig wurde musiziert. Auf dem Programm: Britten, Beethoven, Schubert. Solisten waren Andrew Tortise und Thomas Larcher.
Von Elisabeth Aumiller
Benjamin Brittens Lieder-Zyklus „Les Illuminations“ ist eine Sammlung von Prosastücken und Gedichten des französischen Dichters Arthur Rimbaud, die nach dessen Tod von Paul Verlaine unter diesem Titel veröffentlicht wurden. Rimbaud und Verlaine waren in einer homoerotischen Freundschaft verbunden und die Dichtungen Rimbauds entstanden während ihrer gemeinsamen Zeit auf ihren Reisen nach Belgien und London. Rimbaud experimentierte zum Teil mit ausgefallenen französischen Wortschöpfungen und die Stücke vermitteln visionäre Poesie, Städte-Impressionen, intime Liebesempfindungen und Abschiedsgedanken voller Resignation als Streiflichter poetischer Impressionen. 1939 vertonte Benjamin Britten diesen Zyklus, den er der Sopranistin Sophie Wyss widmete, die auch die Uraufführung sang. Danach wurde die Interpretation oft Peter Pears anvertraut, dem lebenslangen Freund und Partner Brittens. Pears ist auch das zentrale Liebeslied des Zyklus „Being Beauteous“ zugeeignet.
Die Singstimme wird einzig von Streichern umspielt. Das Eingangsthema „Fanfare“ („Ich allein habe den Schlüssel dieser wilden Parade“) ist der wiederkehrende Refrain des Zyklus, in den der der Tenor Andrew Tortise im Großen Saal des Mozarteums mit tenoralen Fanfaren-Tönen einstieg.
Im Verlauf gestaltete Tortise die verschiedenen Stimmungsbilder intensiv und farbig schattiert. Die tiefe Grenzlage bewältigte er geschickt und punktete insgesamt mit stimmlicher Kultur. Ein breites Spektrum an instrumentalen Farben wussten die Streicher einzubringen. Tonmalerisch fein ziselierten Bratschen und Violinen die Stimmungsvorgabe und ausdrucksvoll verbreitete die Solovioline Klangzauber. Das vielschichtige Streichergeflecht blieb stets transparent, filigran zart ebenso wie energisch auftrumpfend. Bolton und die Musiker brachten „Les Illuminations“ höchst stimmig zum Leuchten.
Beim Beethoven-Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll op. 37 war Thomas Larcher der Solist. Das hatte Seltenheitswert. Denn der Tiroler Pianist ist heute einer der gefragten Komponisten der neuen klassischen Musik und seine kompositorische Tätigkeit verdrängt immer mehr seine pianistischen Aktivitäten, mit denen er sich schon während seiner Studienzeit einen klingenden Namen gemacht hatte, vorrangig mit zeitgenössischer Musik. Am Donnerstag (26.4.) brachte er seine Qualitäten bei Beethoven zum Tragen.
Von Anfang an war deutlich zu spüren, dass hier ein „Ganzheitsmusiker“ am Werk ist, der nicht nur auf seinen Solopart konzentriert ist, sondern mit jeder Orchesterwendung mitvibriert - und der daher sein Solo aus und mit dem orchestralen Zusammenhang gestaltete. Larcher zeigte sich als äußerst feinsinniger Interpret, der sein Spiel nervig spannend anlegte und in nuancenreicher Vielfalt den musikalischen Ausdruck formte: zart empfindsam, rhythmisch prägnant mit feinen Temporückungen und auch mit pianistischer Energie in den Orchesterpart eingeflochten. Die Integration des Klavierparts in die Gesamtheit und dabei doch die bewusst und explizit eindringliche musikalische Phrasierung beeindruckten in besonderem Maße.
Bolton und das Mozarteumorchester standen nicht nach, musizierten flexibel und geschmeidig, dynamisch bewegt. Das Eingangsthema des Orchesters war geheimnisvoll, aber nicht zu sehr c-Moll-„schicksalsträchtig“ düster. Zu kraftvoller Eleganz und vitaler Verve forderte Bolton die Musiker auf. Innig setzte sich der langsame Satz dagegen ab, in dem das Orchester mit der Empfindsamkeit des Pianisten fein korrespondierte. Flöte und Fagott steuerten schöne Soli bei. Lebendig flott floss die melodische Vielfalt, vom Klavier vorgezeichnet und mitbewegt, dann im Rondo dem Ende zu.
Nach der Pause Schuberts Symphonie Nr.4 c-Moll D417 „Tragische“, die zwar voll Schubertscher Melancholie ist, aber nicht tragisch im heutigen Wortsinn. Bolton machte mit dem Orchester überzeugend die Tiefendimension und Bedeutsamkeit der Musik deutlich, ließ jedoch keine Schwere walten, sondern gab der quellenden Melodik Raum in romantisch beschwingter Natur und liedhaftem Reiz. Über allem stand eine pulsierende Rhythmik voller Spannung und energievoller Vitalität. Das Klanggebilde blieb auch bei kräftiger Farbe transparent ohne je auszuufern in massige Dichte.