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Tiefe Gedanken

WEINBERG FESTIVAL / WØD / STADLER QUARTETT

06/11/23 Der fulminante Abschlussabend des Weinberg Festivals machte bewusst, wie sträflich „große“ Konzertveranstalter dieser Tage eine der maßgeblichsten musikalischen Formen vernachlässigen: Quartett-Abende zählen längst zu den Raritäten – obwohl nahezu alle bedeutenden Komponisten in diesem Genre weit intimere Gedanken zum Audruck brachten als in der großen Form.

Von Horst Reischenböck

So auch auch Prokofjew und Weinberg. Sergej Prokofjew hinterließ „nur“ zwei Streichquartette. Diese bildeten beim Finale des Weinberg Festivals am Sonntag (5.11.) mit dem Stadler Quartett den Hauptteil des Programms. Noch vor seiner, für uns heute nach wie vor unverständlichen Rückkehr aus dem Westen in die damalige UdSSR, ereilte Prokofjew in Washington der gut dotierte Auftrag zu einem Streichquartet. Nr. 1 op. 50 steht in der für Streichquartette eher ungewöhnlichen Tonart h-Moll. Dazu hat er Beethoven studiert, was sich in den Durchführungs-Abschnitten oder vielen Tempowechsel niederschlug.

Primarius Frank Stadler, Gabriel Meier zweite Violine, Pedrag Katanic Viola und und Florian Simma Cello sind – nicht zuletzt im Einsatz für zeitgenössische Musik – eine längst traumwandlerisch aufeinander eingeschworene Gemeinschaft. Packend war schon der beherzt angegangene Einstieg ins eröffnende Allegro. Mit jenem Sechs-Takte-Thema zu Beginn der Exposition, die fast die Hälfte des ganzen Satzes beansprucht, und an das sich Prokofjew Jahre später bei seiner Ballettmusik Romeo und Julia erinnern sollte. Die dazu kontrastierenden Lyrismen kosteten die vier Musiker zum Anfang des nachfolgenden Andante molto aus, danach der vehemente Sturz ins Vivace-Rondo. Wie sehr Prokofjew sebst dieses ausgedehnte Finale schätzte, zeigen seine Bearbeitungen für Klavier, Streichquintett und Streichorchester. Eigenen Worten nach schien es ihm, „dass dieses vorherrschend gesangliche Andante im Orchester intensiver klingen müsste, aber es stellte sich heraus, dass es im Quartett besser herauskam.“ Und seine zündende Wirkung auch diesmal nicht verfehlte!

Während des ZweitenWeltkriegs wurden Prokofjew und sein Komponisten-Kollege Mjaskowsky aus Sicherheitsgründen nach Naltschik, der Hauptstadt der autonomen Kabardinischen Republik, gebracht. Dort kam er mit der kaukasischen Volksmusik in Kontakt: „Ich verfiel auf die Idee, ein Streichquartett zu schreiben. Es schien mir, dass eine Verbindung von neuer und unberührter Folklore … interessante und überraschende Resultate ergeben könnte.“ Wie recht Prokofjew hatte, zeigt einmal mehr das Streichquartett Nr. 2 F-Dur op. 92. Die drei Sätze scheinen vom Material her einfacher gestrickt zu sein. Rhythmisch martellato-akzentuiert pulsieren die Ecksätze, deren tonal undefinierbare Orientalismen mittels Bordunklängen im Zaum gehalten werden. Berührend wurde vom Stadler Quartett das Adagio mit seinen Gitarre-ähnlichen Pizzikati ausgesungen: Prokofjew quasi auf Bartóks Spuren – spontan wirkungsvoll.

Hatte Prokofjew seine Heimat freiwillig wieder aufgesucht, so schaffte es Mieczysław Weinberg als polnischer Jude gerade noch rechtzeitig in die Sowjetunion zu emigrieren. Bald mit Schostakowitsch eng befreundet, mit dem er vierhändig dessen Sinfonien spielte, traten die beiden Komponisten zum internen Wettstreit an: Schostakowitsch komponierte 15 Streichquartette, Weinberg, der ihn um 21 Jahre überlebte, zwei mehr. Das westliche Konzertleben nahm zu Weinbergs Lebzeiten nur vom achten Quartett op. 66 Notiz – auch nur weil es das Borodin-Quartett als Uraufführungsensemble auf in seinem Tournee-Gepäck hatte.

So gesehen war dessen Salzburg-Erstaufführung mehr als überfällig! Der gut viertelstündige melancholische Einsätzer, in dem immer wieder Klezmer-Klänge durchschimmern, war beim leidenschaftlich agierenden Stadler Quartett in besten Händen. Düster geflüsterte Klängen werden aggressiv gesteigert und kehren zurück in die Ausgangsstung und verlöschen: Eine eindrückliche bedenkenswerte Interpretation – nach Gebühr einhellig bejubelt.

Bild: Festival WØD-Weinberg / Elisabeth Weinek

 

 

 

 

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