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Ein „Sühneopfer“ in schönster Romantik

CHRISTUSKIRCHE / LOEWE-ORATORIUM

20/03/23 In der Christuskirche war am 19. März eine wahre Kostbarkeit zu erleben. Carl Loewes fast vergessenes Passionsoratorium Das Sühneopfer des neuen Bundes erklang erstmals in Salzburg im Rahmen einer schönen Kooperation von Gordon Safaris „Cantorey Salzburg“ und der von Burkhard Rüger geleiteten „Strehlener Kantorei Dresden“, die dort ebenfalls in einer Christuskirche residiert.

Von Gottfried Franz Kasparek

Die beiden Chöre, deren künstlerische Genetik ebenso von Johann Sebastian Bach bestimmt ist wie Loewes Komposition, ergeben eine stimmige und tonschöne Einheit. Gordon Safari leitet die Ensembles im prall gefüllten Altarraum mit der ihm eigenen Genauigkeit und emotionalen Hingabe und bindet das nicht nur in den Arien und Chorälen, sondern auch in den Rezitativen gefragte „Strehlener Streichorchester“, eine wackere Amateurgruppe, liebevoll anfeuernd mit ein. Einmal, in der Erdbebenszene der Kreuzigung, darf die Schlagzeugerin Rizumu Sugishita, die am selben Tag auch in der Camarate-Matinee tätig war, zusätzliche Pauken-Akzente setzen.

Die Gesangssoli sind jungen Profis anvertraut. Wieder einmal erfreut die schottische Sopranistin Electra Lochhead in meist beschaulichen Arien mit perfekter deutscher Artikulation und leuchtendem Timbre. Ähnliches gilt für die bulgarische Altistin Olga Levtcheva, die ihr zum Dramatischen neigendes Organ auch dem Lieblingsjünger Johannes leihen darf. Die beiden jungen Bassisten, der wundersam balsamisch klingende Brett Pruunsild als Jesus und der baritonal timbrierte Jakob Hoffmann in den profund gestalteten Charakterrollen des Judas und des Petrus, sind goldrichtig eingesetzt. Diese Rolleneinteilungen sind übrigens gar nicht vorbestimmt vom Komponisten, sondern obliegen jeweils den Ausführenden.

Carl Loewe ist heute fast nur mehr als Großmeister der romantischen Ballade präsent. Doch der rührige Stettiner Kantor und Kompositionslehrer hat auch sechs Opern, zwei Symphonien, viel Kammermusik und nicht weniger als siebzehn Oratorien geschaffen. In letzteren berief er sich weniger auf Haydn und Mendelssohn als auf Johann Sebastian Bach, dessen intensive Wortausdeutung und Choraltechnik er durchaus originell fortführte, dezent verbunden mit den chromatischen Errungenschaften seiner Zeit. Der erste „Gesang der Zionstöchter“ zum Beispiel lässt an den Brautchor aus Wagners „Lohengrin“ denken und hat mit seiner stimmungsvollen Melodieführung und wiegenliedartigen Streicherbegleitung das Zeug zu einer populären Nummer. Kein Wunder, dass das 1845/46 entstandene Sühneopfer des neuen Bundes bis in die Zeit um 1900 ein Erfolgsstück gewesen ist, sogar in Nordamerika.

Loewe erreicht nicht die harmonische Komplexität und ausdrucksvolle Intensität von Brahms, dafür zeichnet seine mehr an Max Bruch erinnernde, volksliedhafte Klangsprache eine fein ausgehorchte, im Barock ruhende, doch romantisch empfundene Aura, die in ihrer liebevoll naiven Religiosität einfach Freude bereitet. Das dreiteilige, pausenlos gespielte, etwa hundert Minuten dauernde Stück wird jedenfalls nie langweilig und passt exakt in die vorösterliche Zeit der Besinnung. In der prall gefüllten Christuskirche wurde erstaunlicherweise kaum gehustet und am Ende zurecht heftig applaudiert.

Bild: www.gordonsafari.com

 

 

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