Friss, Vogel, oder stirb?
PHILHARMONIE SALZBURG / ELISABETH FUCHS
08/12/22 Kein Programmheft, nur ein QR-Code. Und dann aufregen, wenn die Handys nicht ausgeschalten werden. Was hilft da die Anregung „Genießen Sie im Konzertsaal lieber die Musik!“ Zu genießen gab es das zweite Cello-Konzert von Schostakowitsch mit dem Solisten Daniel Müller-Schott und die Fünfte Tschaikowski.
Von Horst Reischenböck
Ein smpler Zettel auf den Sitzplätzen vermerkte immerhin Werke, Satzbezeichnungen und Ausführende. Und die Aufforderung, das via QR-Code Heruntergeladene doch möglichst vor oder erst nach dem Konzert zu lesen... Sehr hilfreich, wenn man erst kurz vor Beginn erfährt, dass es kein Programmheft gibt. Wie wichtig wenigstens Basis-Informationen sind (in gewöhnlichen gedruckten Programmhefte), zeigte sich gleich eingangs bei Dmitri Schostakowitschs Cellokonzert Nr. 2 g-Moll op. 126. Nirgendwo wird wenigstens darauf hingewiesen, dass dessen Sätze zwei und drei, beide Allegretto, nahtlos aufeinander folgen. Friss, Vogel oder stirb? Da heißt es schon ein Kenner zu sein, um dieses Wissen mitzubringen. Wo noch dazu dieses später entstandene Werk sowohl in der Gunst der Ausführenden wie auch der Hörer weiter hinten rangiert und seltener aufgeführt wird. Übrigens völlig zu Unrecht, was der 46jährige, aus München gebürtige Heinrich Schiff-Schüler Daniel Müller-Schott am Mittwoch (7.12.) beim Abo-Konzert der Philharmonie Salzburg im Großen Saal des Mozarteums bewies.
Das Konzert ist charakteristisch für des großen Russen Spätphase, der hier nicht mehr vordergründig seine tönenden Initialen D-Es-C-H strapaziert. Das Werk wurde einst zu seinem 60. Geburtstag aufgeführt, just in dem Jahr, als er (sicher nicht ganz freiwillig) doch noch Mitglied der KPdSU wurde, die ihn lange Jahre drangsaliert hatte. So stieg denn Daniel Müller-Schott – „ein furchtloser Spieler mit überragender Technik“ nennt ihn die New York Times – vorerst vollmundigen Tons in die vorwiegend elegische Stimmung des fast eine Viertelstunde dauerndes Largo ein. Er nahm sich differenziert zurück, ehe der Dialog mit der blendend disponierten Philharmonie Salzburg in einen brutalen Konflikt zwischen Violoncello und Großer Trommel mündete.
Die vier Scherzo-Minuten des skurrilen Geschwindmarsches ließen dem durchgehend beschäftigten Solisten kaum einen Ruhepol, bis endlich das großartige Hörnerpaar Finale rief, aus dem immer wieder eine elegische Abschiedsgeste auftauchte. Nach stürmischem Pyrrhussieg erstarb dann das Cello vor gespenstisch Knochen-klapperndem Xylophon wie eine Vorwegnahme des Schlusses von der 15. Symphonie. Gedanklich passende Querverbindung: Daniel Müller-Schott bedankte sich für die stürmisch aufbrausende Zustimmung mit einer selten so furios explosiv attackiert gehörten Gigue aus der Suite für Cello Solo G-Dur BWV 1009 von Johann Sebastian Bach. Hatte Bach doch nicht zuletzt Schostakowitsch zu einem eigenen Zyklus von Präludien und Fugen für Klavier angeregt.
Danach durften sich Dirigentin und Orchester im vollmundig ausmusizierten Glanz der Sinfonie Nr. 5 e-Moll op. 64 von Peter Illitsch Tschaikowski sonnen. Mitnichten seine „Schicksalssinfonie“ wie oft unterstellt. Das bedrückende Fatum hatte er schon im Zentrum seiner Vierten abgehandelt. Erst über den Umwegen der Orchestersuiten peilte er wieder sinfonische Gefilde an und war selber mit der Fünften gar nicht zufrieden. Ganz anders als das Publikum seither weltweit und am Mittwoch (7.12.) in Salzburg: Das komponierte „per aspera ad astra“ mit vollem Blech zeugte unter Elisabeth Fuchs ambitionierter Leitung einmal mehr größte Pulbikumswirksamkeit.