Junge Menschen. Große Gefühle
SINFONIEORCHESTER UNI MOZ / ION MARIN
19/10/22 Das Sinfonieorchester der Universität Mozarteum unter der Leitung von Ion Marin triumphierte im Haus für Mozart mit Beethoven und Tschaikowski. Das Projekt führt uns einmal mehr unseren unerhörten kulturellen Schatz vor Augen, dient aber – auch – als musikalische Arbeitsbasis für den studentischen Nachwuchs.
Von Erhard Petzel
Mit Ion Marin ein internationaler Profi vorn dran, der das höchst motivierte Orchester am Dienstag (18.10) im Haus für Mozart stand denn auch zur Höchstform auflaufen ließ. Die Verbindung eines der ganz Großen aus der Szene zu Salzburg ist eine glückliche Fügung. Marin ist am Mozarteum verpflichtet für
Dirigieren, Chorleitung und Blasorchesterleitung. Es war das, coronabedingt verschobene, Antrittskonzert und der erste gemeinsame Auftritt von Ion Marin, dem Inhaber der Claudio Abbado-Stiftungsprofessur für Orchesterleitung, mit „seinem“ Orchester. Auf dem Programm Beethovens Tripelkonzert für Klavier, Violine, Violoncello und Orchester C-Dur op. 56 und Tschaikowskis Sinfonie Nr. 4 f-Moll op. 36. Heute Mittwoch (19.10.) folgt im Max Schlereth Saal des Mozarteums eine zweite Aufführung, am Pult stehen werden Dirigierstudierende.
Es war ein pures Vergnügen zu erleben, wie der neue Professor mit ideal kalkulierter und dosierter Schlagtechnik das Orchester bindet und ohne Firlefanz die wesentlichen Impulse setzt. Individuelle Register-Anleitungen kann er sich weitgehend schenken, wissen seine Musiker auch so, was gespielt wird. Dafür schwelgt das Ganze unerschütterlich als harmonisch bewegter Organismus.
Das wird schon an Beethovens Tripelkonzert op. 56 deutlich. Ein Werk, das im Schatten des es umgebenden Werkkanons steht. Gemessen an der ungefähr zeitgleich entstandenen Eroica mit ihren erratischen Brüchen fließt es unaufgeregt und ausgeglichen mit heiteren Themen, zwischen Mozart und Schubert vermittelnd und stellenweise auf die unendliche romantische Melodie voraus weisend. Das Trio mit Laura Handler auf der Violine, Annette Jakovcic am Cello und Seonghyeon Leem am Klavier darf sich gegenseitig und dem Orchester die Bälle Beethoven'schen Witzes zuwerfen und im souverän aufbereiteten Klangbad aalen. Drei Sätze weist diese geschmackvolle Variante einer Sinfonia concertante auf mit holden Kantilenen, geschickter Kontrapunktik und fulminanter Stretta.
Der absolute Hochgenuss dann mit Tschaikowskis Vierte. Junge Menschen und große Gefühle, das geht besonders gut zusammen. Es ist aber nicht allein die Hingabe der Studenten, die den Abend im Haus für Mozart zum unvergesslichen Ereignis macht. Hier wird deutlich, wie wichtig die Handschrift eines umsichtigen Dirigenten ist. Reiche Binnendynamik auf kleinstem Raum wirft Lichtspiele auf die Klangfarben der Details, die sich nahtlos auftürmen zu den großen Aufwallungen, die niemals ins ordinäre Brüllen verfallen.
Elegant die Wechsel in den Bewegungen und ambivalenten Stimmungen mit einem untrüglichen Gespür für den richtigen Fluss der Zeit. Die Register perfekt ausbalanciert. Das Gewebe vollkommen transparent, unterstützt von der unerbittlichen Raumakustik, die hier ganz sonor zum Aufblühen gebracht wird. Facetten von Pianissimo, die bis zum Ersterben plastisch präsent das Haus füllen. Dazu sicher und exakt musizierende Register und Soloinstrumente. Ob Holz, Blech, Streicher oder alle zusammen, es macht einfach glücklich.
Ja, der Rezensent ist ins Schwärmen geraten! Gern wäre auch er einfach nur „konsumierendes“ Publikum gewesen, um ohne Umstände und Analyse einfach in der Klangflut schweben zu dürfen, statt die Frontallappen aktivieren und eigentlich Unsagbares beschreiben und bewerten zu müssen. Ein Versuch dazu zum Beginn des dritten Satzes: Ein bisschen wie die Halle des Bergkönigs als flüstrig gespenstiger Elfentanz, elegant und differenziert bis ins Nichts. Wie ein Blitz die Oboe. Zur Melodie perlendes Holz, Flöte und Piccolo klingeln, bezauberndes Pizzicato. Akkurat und sauber die Läufe im Finalsatz, dessen geschmackvoll abgestimmtes Ende unmittelbaren Spontan-Applaus erregt.
Wo gibt es das noch in einer Zeit, in der Dirigenten glauben, Minuten lang eine feierliche Schlussspannung beschwören zu müssen... Jedenfalls ist festzuhalten, dass bei dem Niveau der jungen Musiker goldene Zeiten für klassische Orchester anbrechen werden. Trauen und bauen wir getrost und mit großer Freude auf die folgenden Generationen und die sie begleitenden Institutionen, auch wenn die Welt gerade wieder einmal unterzugehen droht.
Das Sinfonieorchester der Universität Mozarteum Salzburg spielt unter studentischer Leitung das gleiche Programm noch einmal – heute Mittwoch (19.10.) im Max Schlereth Saal des Mozarteums – www.uni-mozarteum.at
Bilder: www.uni-mozarteum.at ; ionmarin.eu / www.camimusic.com ;Stas Levin