Mein Eingeweide kreischt auf glimmen Kohlen
BACH WERK VOKAL / BROCKES PASSION
18/03/19 Gordon Safari und sein BachWerkVokal wagten sich am Sonntag (17.3.) in der Christuskirche an Georg Friedrich Händels Passions-Oratorium Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende Jesus, landläufig Brockes-Passion. Sie gewannen auf allen Linien. Zweieinhalb Stunden mit einer kurzen Pause vergingen wie im Flug. Die kleine Besetzung vollbrachte Wunderdinge.
Von Gottfried Franz Kasparek
Händels einziges deutsches Oratorium, geschrieben für Hamburg 1716, beruht auf einem ehrwürdigen, aber recht hanebüchenen Text des hanseatischen Ratsherrn und Dichters Barthold Heinrich Brockes. Im Vorwort des Poeten ist von „erlaubter Belustigung“ und „Erbauung“ der Hamburger Bürgerschaft in der Karwoche die Rede. Das kann man bei Textzeilen wie „Mein Eingeweide kreischt auf glimmen Kohlen“ gut nachvollziehen.
Doch was Händel aus der gestelzten und schwülstigen Nachdichtung der Evangelien gemacht hat, kann heute noch begeistern. Hier war ein genuiner Opernkomponist am Werk, der weniger als Kollege J. S. Bach in spirituelle Tiefen schürfte und mehr auf Expressivität, Dramatik und effektvolle Arien setzte. Übrigens haben auch Reinhard Keiser, Johann Mattheson und Georg Philipp Telemann das damals erfolgreiche Libretto vertont. Die Aufführungen fanden im Refektorium des Doms oder in des wohlhabenden „Herrn Verfassers Behausung“ statt.
Gottlob sind evangelische Kirchenbänke etwas kniefreundlicher als katholische, denn das Stück dauert auch in klug eingestrichener Version noch lang genug. Unglaublich, dass es „in einem Teil“ konzipiert war - das Original braucht noch fast eine Stunde länger Sitzfleisch.
Diesmal gab es eine Viertelstunde Pause nach dem Krähen des Hahns. So ging man mit den herzzerreißenden Schildbekenntnissen des Petrus im Ohr sich die Füße vertreten, ehe Judas sich mit Sätzen wie „Ich Hund hab’ meinen Gott verleugnet“ geißelte und die Geschichte ihren Lauf bis zum Kreuzestod nahm.
Die kleine Besetzung vollbrachte Wunderdinge. Der von Lichtdesigner Sebastian Klein stets in einen grellweißen Lichtkegel gekleidete, natürlich tenorale Evangelist war beim sehr wortdeutlichen Alexander Hüttner bestens aufgehoben. Ebenso Jesus, dem Max Tavella, weiß gekleidet in schwarzer Umgebung, balsamische Basstöne und würdige, schlanke Gestalt verlieh. Kurios, dass er seine Schlussworte nicht selber singen darf – „Es ist vollbracht“ verkündet der Evangelist.
Alle anderen Mitwirkenden interpretierten zwei bis drei Rollen, alle miteinander bildeten auch den choralartig tönenden Chor. Der lyrische Tenor Shimon Yoshida sang den Petrus mit schönem Timbre, wahrer Leidenschaft und vielen berührenden Nuancen. Christopher Zehrer, ein samtener Altus, wirkte als jungenhafter Judas ebenso glaubwürdig wie die Baritone Nicholas Morton (vor allem Pilatus) und Nils Tavella (meist als Caiphas tätig). Alle waren auch als „Gläubige Seelen“ unterwegs.
Das „OCNS“-Lichtdesign schuf stimmungsvolle Bilder in unterschiedlichen Farbtönen und wirkte nie aufdringlich. Die immer wieder sehr erfreuliche Sopranistin Electra Lochhead sang ihre Rezitative und Arien als eine der „Töchter Zions“ untadelig und berührte als opernhaft trauernde Madonna mit Schleier ganz besonders. Doch auch ihre „Schwestern und Seelen“, Silvia Moroder mit feinen Silberklängen, die engelhaft klare Szófia Szabó und die burschikose Altistin Sophie Allen brachten sich bestens in das Ensemble ein. Das zehnköpfige Barockorchester „Kontra.Punkt“ wirkte bei allem Originalklang frisch, vital und klangvoll.
Die Seele des Ganzen war Gordon Safari, ein „vollkommener Kapellemeister“ und leidenschaftlicher Gestalter der sich immer wieder zu magischen Momenten verdichtenden Partitur. Großer Jubel. Leider gab es nur eine Aufführung.