Abartige Artgenossen der Orgel
DIALOGE / TAG 4
10/05/10 Als Drehorgelspieler muss man den richtigen „Dreh“ heraußen haben. Genauer gesagt: Mit dem gleichmäßigen Drehen ist es bei weitem nicht getan. Das hat man am letzten Festival-Tag der Dialoge, am frühen Sonntag (9.5.) Abend, hautnah miterleben dürfen.
Von Reinhard Kriechbaum
Der Dreh darf ruhig ein wenig eckig ausfallen, denn das belebt die Musik ungemein. Oliver Maar hat vorgeführt, wie man aus dem vermeintlichen „Leierkasten“ tatsächlich lebendige Musik zaubert, mit deutlichen Rubati, mit Atemzeichen. Da zeigt sich, dass Lochkarten oder Stiftwalzen zwar die Stücke in sich eingeschrieben haben, dass man aber auch an einer mechanischen Orgel auf Interpretation nicht verzichten sollte.
Oliver Maar ist angeblich der einzige „hauptamtliche“ Drehorgelspieler in Österreich. Er weiß, wie ein Walzertakt verschnitten gehört, um authentisch zu wirken. Und selbst anrüchige Musik wie eine eigenwillige Paraphrase auf Verdis „Troubadour“ gewinnt unter Maars Ankurbelung plötzlich Leben. So entfaltet auch Konservenmusik ganz individuellen Charme.
A propos Konservenmusik: Oliver Maar hat auch ein „Ariston“ mitgebracht. Das ist so etwas wie der Vorläufer des Plattenspielers. Die „Schallplatten“ haben Löcher und Schlitze, auf die die Feinmechanik anspricht. Das Instrument selbst (das man sich umhängen kann), enthält Zungenpfeifen und klingt einem Akkordeon nicht unähnlich.
Die Orgel und ihre abartigen Artgenossen. Von Giacinto Scelsi und seinem meditativ-kontemplativen Stück „In nomine lucis“ zu Anton Heillers aus zusammengesetzten Rhythmen pointiert facettierten „Tanz-Toccata“ - das allein (auf der neuen Orgel) bedeutet schon eine ansehnliche stilistische und ideologische Wegstrecke. Dazu zwei Stücke des spätmittelalterlichen Paul Hofhaimer auf dem Regal und einige hübsche Beispiele aus Renaissance und Frühbarockmusik auf dem Claviorganum. Letzteres ist eine Kreuzung aus Pfeifenorgel, Regal und Cembalo. Da hat der Salzburger Domorganist Heribert Metzger so recht Lust auf mehr gemacht. Schade eigentlich: In Salzburg gibt es zwei solcher Instrumente (eines im Salzburg Museum, ein zweites im Stift St. Peter), beide wären spielbar – aber kaum einmal erinnert sich jemand an sie.
Dem originellen Sound folgte – nach der Kino-Episode mit „Phantom der Oper“ - ein Ausklang mit „Principal Sound“ von Mortron Feldman. Da hörte man wieder Bernhard Haas, der im Lauf der vier „Dialoge“-Tage seine hohe Kompetenz fürs Zeitgenössische mehrfach unter Beweis gestellt hat. In dem nicht ganz halbstündigen Stück von Morton Feldman geht es um klangsatte Harmonien, die rhythmisch und dynamisch „minimalistisch“ verändert werden.
Im Orgelfest der letzten Tage hat man nun wirklich viel mitbekommen von den Möglichkeiten der neuen Propter-Homines-Orgel im Großen Saal des Mozarteums. Die Stimmen wirken sehr sorgsam intoniert, die kammermusikalischen Möglichkeiten sind in ganz unterschiedlichen Stilen herausgekommen. Gut, dass es jetzt weitergeht: mit der Dienstag-Mittag-Schiene zuerst und in der kommenden Saison mit Stummfilm-Matineen und der Serie „Orgel plus“: Da bekommt das Konzertleben also wirklich neue Anstöße.