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Oh Wonnen der Mäßigung!

CD-KRITIK / HÄNDEL

05/03/14 Ist das für ein Tanzen, Springen – und vor allem ein Gelächter, das der Tenor in einer Arie vorgibt und der Chor so beantwortet, wie es eigentlich nur Händel, dem alten Routinier, von der komponierenden Hand gehen konnte! Der Lustige, ja Überdrehte ist die eine Hauptperson in „L’Allegro, il Penseroso ed il Moderato“.

Von Reinhard Kriechbaum

Gleich am Beginn hat „L’Allegro“ in einem Rezitativ seinen Stimmungskontrahenten unnachahmlich nachgeäfft. „Il Pensiero“, der nachdenkliche und schwermütige Melancholiker, hat musikalisch freilich allerhand Essentielles entgegenzusetzen, auch wenn meist nur die Streicher für bewölkte Stimmungen, gelegentlich gar für trübsinniges Geschiebe sorgen. Aber wieder der raffinierte Händel: Einmal lässt er auch den Sopran-Melancholiker mit der Flöte tirilieren (gleich sage und schreibe zwölf Minuten lang!) – da ist der Vogel, der sich fern hält von menschlichen Turbulenzen und dem Mond entgegen fliegt als ein Sinnbild für Weltflucht.

Solche Abweichungen vom gewohnten Affekten-Spiel haben die Sache für die Londoner Erst-Hörer im Winter 1740 gewiss noch um einiges attraktiver gemacht – und Peter Neumann konnte mit dem Kölner Kammerchor und dem Collegium Cartusianum aus dem Vollen schöpfen. Es ist eine interpretatorische Annäherung, stets darauf bedacht, den listigen Witz und nicht die plakative Zustandsschilderung herauszuarbeiten. Maria Keohane (Sopran) und Benjamin Hulett (Tenor) sind die vielbeschäftigten Solisten, die beide auch manch ironischen Unterton gut herausbringen.

Warum rechnet das zu Händels Lebzeiten ziemlich gefragte und von ihm selbst öfters dirigierte Werk heutzutage eher zu den Stiefkindern? „L’Allegro, il Penseroso ed il Moderato“ ist eben kein Oratorium, passt nicht in die vorweihnachtliche oder -österliche Oratorien-Konzertzeit. Mehr Mut von Musikerseite wäre durchaus angeraten, vor allem ist Angst vor üppigen barocken Metaphern ziemlich unbegründet: Ungeachtet des allegorischen Themas führen Händel und sein Textdichter Charles Jennens (der für Händel auch den „Messias“-Text kompiliert hat) den Bestgelaunten und die notorische Trantüte ausgiebig ins Grüne. Sie lassen sie je nach Temperament Landschaften auskosten: das pastorale Gemüt wird ordentlich befriedigt. Vor allem der Bass hat im ersten Teil ein wunderbares Accompagnato. Und nachdem die erste Geigenstimme in der anschließenden Sopranarie vom Glockenspiel silbern überhöht wird, geht man wundersamst plain-air-erquickt „in die Pause“.

Auch im zweiten Teil führen im Wesentlichen Sopran und Tenor ihre Diskussionen um Licht und Schatten, um „volkreiche Städte“ und Natur-Einsamkeit, orphische Melodieseligkeit oder klösterlichen Rückzug – bis sich im dritten Teil „Il Moderato“ (zuerst mit Bass-Nachdrücklichkeit: Andreas Wolf) einmengt und vor Stimmungs-Extremen warnt. Da hat in einer einzigen koloraturenreichen Arie die Sopranistin Julia Doyle einen Auftritt, mit dem sie den „goldenen Mittelweg“ einmahnt. Ein mit konzertanten Holzbläser-Episoden angereichertes Sopran-Tenor-Duett beschwört nochmal die Vernunft, bis der Chor – polyphon, aber denkbar moderat, versteht sich – die Wonnen der Mäßigung besiegelt.

Georg Friedrich Händel: „L’Allegro, il Penseroso ed il Moderato“. Maria Keohane, Julia Doyle (Sopran), Benjamin Hulett (Tenor), Andreas Wolf (Bass), Kölner Kammerchor, Collegium Cartusianum, Ltg. Peter Neumann. 2 CDs, Carus 83.395 - www.carus-verlag.com

 

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