„Größte Phantasie und Wendigkeit“
CD-KRITIK / VERACINI / VIOLINSONATEN
10/02/11 Ein Klang, “der so laut und klar war, dass man ihn in einem Orchester, egal ob in der Kirche oder im Theater, deutlich heraushören konnte“. Charles Burney mag dieses sein Urteil über Francesco Maria Veracini (1690-1786) halb lobend, halb tadelnd gemeint haben.
Von Reinhard Kriechbaum
Jedenfalls hob Burney „die größte Phantasie und Wendigkeit“ des Geigers hervor. Dass die Phantasie mit Veracini oft durchgegangen ist und die Wendigkeit von den Zeitgenossen als Arroganz und Wirrköpfigkeit ausgelegt wurde, steht auf einem anderen Blatt. In Dresden, wohin ihn Prinz Friedrich August, der Sohn August des Starken, als seinen persönlichen Kammerkomponisten holte, war Veracini ein ständiger Unruheherd. Wie mag es zugegangen sein, dass er 1722 in Dresden aus einem Fenster im zweiten Stock geflogen ist, nach einer Auseinandersetzung, an der Hofkapellmeister Johann David Heinichen und der Kastrat Senesino mitbeteiligt waren? Die Zeitzeugen berichten Unterschiedliches. Danach ging – humpelte – Veracini als Opernkomponist nach London. Bei der Rückübersiedlung nach Italien erlitt er Schiffbruch im Ärmelkanal und büßte zwei Stainer-Geigen ein. Für die Yellow Press der Zeit war Veracini immer für eine Story gut …
Seine Violinsonaten sind geläufig und oft aufgenommen – der Italiener Riccardo Minasi überrascht auf dieser CD aber mit zwei Ersteinspielungen. Eine Sonatenhandschrift liegt in der Staats- und Universitätsbibliothek in Dresden, eine weitere in der Österreichischen Staatsbibliothek in Wien. Letztere ist ein sehr frühes Werk, das doch schon die Besonderheiten von Veracinis Musik spiegelt: Sehr eingängige, extrem gesanglich und im Dialog mit dem Continuo-Bass ergiebig angelegte langsame Sätze einerseits, Allegro-Abschnitte aus hoch virtuosem, oftmals perpetuiertem Floskelwerk andrerseits. In beiden Fällen ist der Interpret herausgefordert, denn gustiöse und fingerfertige Verzierung ist gerade bei Veracini unverzichtbar. Riccardo Minasi kostet den Ton seiner Amati-Geige aus und überrumpelt dann wieder mutig mit virtuoser Attacke.
Zum sehr bewussten und erfindungsreichen Umgang mit Verzierungen kommt ein wacher Sinn, die Continuo-Gruppe jeweils individuell zuzuschneiden. Für die aus Wien stammende Sonate war es sicherlich klug, von Satz zu Satz wechselnde, stärkere Begleitakzente zu setzen, mit Erzlaute, darmbesaitetem Cembalo und Harfe. Es ist ein Stück, das aufgemotzt sein will. Ganz anders die d-Moll-Sonate aus Dresdner Überlieferung: Da beschränkt man sich ganz auf den Dialog von Geige und Laute, wodurch deutlich wird, dass auch allerhand kontrapunktische Künste drin stecken.
Ein effektvoller Kehraus ist Veracinis „Sonata Academica“ (op. 2 Nr. 12), die mit je einer Passacaglia und Chaconne überrascht.