Vergessene Kastraten-Arien
CD-KRITK / COUNTERTENÖRE
23/12/10 Gegen Jahresende scheint die Zeit für Countertenöre besonders günstig. So präsentierte der Amerikaner Bejun Mehta dieser Tage sein neues Album in Wien, das er zur Gänze Arien und Duetten von Georg Friedrich Händel widmete. – Neue CDs von Mehta, Scholl, Jaroussky.
Von Horst Reischenböck
Kollege Andreas Scholl wiederum ging eine Generation zurück, zum „Orpheus Britannicus“ Henry Purcell. Wobei er sich nicht scheute, auch das eigentlich einer Sopranistin zugedachte berühmte Lamento der Dido mit ein zu beziehen. Er wird mit diesem Programm übrigens mit Philippe Jaroussky auf Tournee gehen.
Dem aber gebührt wohl derzeit die Krone. Hat er doch auf seiner neuesten CD endlich Arien der Vergessenheit entrissen, die der wahrscheinlich aus Venedig stammende Vizekapellmeister Antonio Caldara für Opernaufführungen am Wiener Hof komponierte. Deren etliche mögen wohl auch in Salzburg zu vernehmen gewesen sein. Sind doch Aufführungen von nicht weniger als 19 seiner Werke bezeugt. Obendrein schuf er nebst dem St. Nepomuk gewidmeten Oratorium zur Weihe der Schlosskapelle Mirabell auch jene „Dafne“, mit der das im Garten benachbarte Heckentheater offiziell eröffnet wurde.
Vielleicht bin ich schon vom Timbre her voreingenommen. Philippe Jaroussky beweist jedoch nicht nur einmal mehr sein stupendes gesangstechnisches Können: Die Bandbreite an Koloraturen (und das nicht nur innerhalb der Kadenzen), Schwelltönen, aber auch lyrischer Versenkung ist Legion. Auch aber, was der 1736 gestorbene Antonio Caldara, dem zum Unterschied von seinem Vorgesetzten Johann Joseph Fux die Wertschätzung Karls VI. sogar ein kaiserliches Begräbnis genehmigte, an Ausdeutung unterschiedlichster Texte der Hofpoeten Apostolo Zeno und Pietro Metastasio in Klänge umzusetzen imstande war. Trauer, Zorn, zärtliche Liebe, berührende Resignation wechseln einander perfekt abgestimmt ab. Darunter interessanterweise gleich zwei Sesto-Arien – jener Figur aus der von Mozart gut 55 Jahre später vertonten „La Clemenza di Tito“. Eine CD, die süchtig macht.