Höchste Kunst des Ohrenkitzels
CD-KRITIK / FLÖTENSONATEN
28/06/23 Da wäre man gerne die legendäre Stubenfliege mit gutem musikalischen Gehör gewesen: Johann Stephan Kleinknecht, ein sehr guter Querflötist, musste sich täglich in Bayreuth zu seinem Dienstherrn, dem Markgrafen Friedrich, begeben und mit dem Chef, einem nicht minder tüchtigen Querflötisten, gemeinsam musizieren.
Von Reinhard Kriechbaum
Oft wird sein Bruder Jakob Friedrich Kleinknecht die Noten dazu bereit gestellt haben, von dessen Sonaten hier die Rede ist. Wir sind in der Ära von Quantz. Die Geschwisterschaft der Markgräfin mit dem Preußen-Fritz verpflichtete, zum Nachahmen und zur Konkurrenz.
Drei Kleinknechts – alle Söhne des Ulmer Münster-Organisten Johann Kleinknecht – waren um die Mitte des 18. Jahrhundert in Diensten Wilhelmines und Friedrichs am Bayreuther Hof gelandet. Jakob Friedrich Kleinknecht (1722-1794) wäre eigentlich als Geiger verpflichtet und als Zweiter Konzertmeister neben Franz Benda ausersehen gewesen, aber schließlich wurde doch die Traversflöte seine Domäne – vor allem das Komponieren dafür.
52 Triosonaten hat er hinterlassen. Alle sind heutzutage weitgehend unbekannt, alle auf dieser CD sind Ersteinspielungen. Das Notenmaterial (also die Faksimiles) kamen aus der Staatsbibliothek Berlin, der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe und der Bibliothèque Natinale Paris – ein Indiz, dass Jakob Friedrich Kleinknechts Musik eben nicht nur in Bayreuth und sonstwo in Deutschland, sondern auch in viel weiterem Umkreis wahrgenommen und geschätzt wurde. Sogar in London ist ein Schwung von Triosonaten gedruckt worden. In Bayreuth brachte er es 1762 zum Hofkomponisten (eine dort eigens für ihn eingerichtete, neue Stelle) und zwei Jahre später wurde er Musikdirektor der markgräflichen Kapelle. Das war angesichts der musikliebenden Herrschaft durchaus ein Traumjob.
Man zieht bei einem solchen Umfeld unwillkürlich den Vergleich mit Haydn am Eszerházy'schen Hof. Die Herausforderungen für Jakob Friedrich Kleinknecht muss man sich ganz ähnlich vorstellen: Die Ohren des querflötenkundigen Auftraggebers wollten tagtäglich aufs Neue gekitzelt sein, und was Haydn fürs Baryton, fürs Streichquartett und die Symphonie als Gattungen leistete, das leistete Kleinknecht gewiss fürs Genre der Traversflöten-Triosonate.
Das jedenfalls vermittelt das Ensemble Cantonnade mit den famosen Querflötistinnen Miho Shirai und Zsuzsa Csige, der Cellistin Marie Colombat und Niklas Heineke auf Cembalo und Spinett. Es ist Satz um Satz verblüffend, wie dieser Komponist mit den Lagen und Klangfarben der Traversflöte experimentierte, wie er auf diese Weise in einem eminent imitatorischen Satz Chroma einbrachte. Die beiden Flötistinnen setzen das gewitzt um und sie vermitteln vor allem, wie viele französische und italienische Elemente in diese Stücke eingeflossen sind. Es ist eben im Grunde Telemanns galanter, „vermischter“ Stil, der hier den Traversflöten genuin eingeschrieben und ausgereizt ist. Die Cellistin, die den Einführungstext fürs Booklet geschrieben hat, assoziiert einmal Bildwerke von Watteau – aber es meldet sich auch der Sturm und Drang nachhaltig zu Wort. Die Wendung zur (Vor)Klassik, zum Mannheimer Stil hat Jakob Friedrich Kleinknecht dann freilich nicht mehr vollzogen.
Interpretatorisches Animo geht hier also aufs Schönste zusammen mit sagenhaft vielgestaltigen kompositorischen Angeboten. Durchwegs in einer musikalischen Machart, die immer auch mit der Überraschung kalkuliert. Deshalb will man auch nach siebzig Minuten und fünf Sonaten rufen: Bitte mehr Jakob Friedrich Kleinknecht!
Jakob Friedrich Kleinknecht: Trio Sonaten für zwei Flöten und Basso continuo. Ensemble Cantonnade. TYXart, TXA19126 – www.jpc.de