Kuchenbäcker und Breakdancer
HÖRVERGNÜGEN / DREI COUNTER-TENÖRE
07/07/20 Der Salzburger CD-Händler Andreas Vogl präsentiert der Reihe Hörvergnügen den DrehPunktKultur Leserinnen und Lesern Lieblings-CDs aus allen Genres von der großen Oper zum intimen Lied.
Heute empfiehlt er: Neue Countertenor-Stars auf CD
Von Andreas Vogl
Was ist das mit den Countertenören? Seit geraumer Zeit ist rund um das falsettierte hohe Männerstimmfach ein wahrer Hype und auch ein großer Markt entstanden. Waren Alfred Deller, Jochen Kowalski oder der exaltierte Klaus Nomi früher Randerscheinungen einer kleinen Szene, so haben sich seit den Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts bereits mehrere Generationen von Imitatoren des barocken Kastratentums zu beachtlichen Weltkarrieren gesungen.
Kastraten, das waren vom 17. bis übrigens ins späte 19. Jahrhundert männliche Sänger, die noch vor der Pubertät durch veritable Kastration und das damit gestoppte Wachstum der Stimmbänder vom Stimmbruch abgehalten wurden und so eine natürlich hohe Singstimme beibehalten haben. Dieses medizinische Unterfangen ist heute undenkbar. Somit machen alle heutigen Countertenöre eigentlich bloß durch den Einsatz der Kopfstimme (Falsett) einen ungefähren Höreindruck der damaligen Superstars der Oper, Farinelli war so einer, wieder erlebbar.
Vor allem der Boom der Barockopern, für die man möglichst originale Stimmbesetzungen gesucht hat, und der damit verbundene CD-Markt der Klassikindustrie haben in den letzten Jahren große Karrieren hervorgebracht. Marketingtechnisch bedienen sich die Labels aktueller soziopolitischer Gender- und Gleichberechtigungs-Strategien und finden hier, neben Barock-Freaks, natürlich auch gleich einen erweiterten Absatzmarkt bei ganz anderen Hörerschichten.
Drei aktuelle Namen möchte ich hier mitsamt ihren neuen CDs vorstellen: Zum ersten der Pole Jakub Jósef Orlinski, der unter anderem Unterricht bei Edith Wiens und an der New Yorker Julliard School nahm und mit seinem „sexy Breakdancer“Image – er macht z.B. Werbung für Nike und Levi’s – punktet. Seine CD Facce d’amore enthält rare Arien von Hasse, Bononcini oder Scarlatti, teilweise in lohnenswerten Erstaufnahmen. Zählt er zu den Vertretern einer eher Alto-nahen Stimme, so handelt es sich bei Samuel Marino um ein ganz anderes Kaliber.
Er bezeichnet sich selbst als Sopranist und besitzt durch den Sonderfall einer natürlichen Mutation die wirklich höchste Stimme, die ich bis jetzt in diesem Genre gehört habe. Der gebürtige Venezolaner, ursprünglich gelernter Kuchenbäcker (war Nomi übrigens auch), kommt aus der Simon Bolivar Schule und singt auf der CD Care pupille Händel und Gluck so frauengleich, dass man ihn sogar mit Simone Kermes vergleicht.
Kein Wunder, sind seine Vorbilder unter anderem Maria Malibran und Maria Callas. Die Erstauflage der CD ist bereits ausverkauft. Für mich immer noch eine der faszinierendsten und schönsten Stimmen besitzt Franco Fagioli. Er nahm, wie Marino auch, beim Gesangswettbewerb „Neue Stimmen“ in Gütersloh teil und zählt seitdem zu den führenden Countertenören weltweit. Bei der Deutschen Grammophon entstand ein neues Album mit dem Titel Veni Vidi Vinci- eine Wortspielerei gewidmet dem Komponisten Leonardo Vinci, dessen ebenso rare Arien Fagioli mit präziser und, ich muss wirklich sagen, Bartoli-ähnlicher Stimme interpretiert. Wenig überraschend, dass er ein oft gewählter Partner „unserer“ Pfingst-Intendantin ist – wie zuletzt 2019 beim Stabat Mater von Pergolesi im Mozarteum.
Auch, wenn ich persönlich kein absoluter Verfechter dieser teilweise manierierten Stimmakrobatik bin, hören Sie dennoch in die drei Platten mal rein! Es fasziniert und lohnt mit wunderschöner Barockmusik!