Heimat im Lied
HÖRVERGNÜGEN / FINGERLOS / SASCHA EL MOUISSI
19/06/20 Der Salzburger CD-Händler Andreas Vogl präsentiert der der Reihe Hörvergnügen den DrehPunktKultur Leserinnen und Lesern Lieblings-CDs aus allen Genres von der großen Oper zum intimen Lied.
Heute empfiehlt er: Rafael Fingerlos und Sascha el Mouissi mit einem cross over Lied-Potpourri
Von Andreas Vogl
Das Genre Kunstlied ist die in Musik gefasste literarische Gattung der Poesie. Gedichte als prägnante Zustandsbeschreibungen sind faszinierend, weil sie mit wenigen Worten vieles auf den Punkt bringen. Vermag ein Komponist das wenige auch noch mit Noten zu konkretisieren, sind wir bei der genialen und hochkomplexen Form des Liedes. Schon bei Purcell sind die „Songs“ Ausdruck von ersehnter Liebe und sehnendem Schmerz, immer mehr fragend als Antwort bringend. Inhaltlich offen bleiben auch später ganze Zyklen wie „Müllerin“ und „Winterreise“ bei Schubert. Wer, warum und wohin? Dieses romantische Hinterfragen fasziniert das Publikum bis heute.
So boomt, vielleicht mangels neuer Kompositionen in diesem Genre, momentan im Tonträger-Business der Trend des Lieder-Potpourries: Sängerinnen und Sänger denken sich ein Thema aus, ja da geht es immer noch um die gefühlvolle Innen- und Außenschau des Menschen, und mixen wie ein Best-of-Tape Lieder aller Epochen zusammen – um mehr oder minder beweisführend eine theoretische Weltsicht zu erklären. Das scheint ein moderner Marketing-Gag für verkaufskräftige Albumkonzepte zu sein. Gesamtkunstwerkliche Musik-Kosmen, wie einst die komponierten Gedicht-Collagen von Müller, Heine und Eichendorff, entstehen hier aber oft eher reißbrettartig erzwungen.
Was tun also, wenn vielleicht eine neue Winterreise-Aufnahme keinen Zusatzwert (wie bei der Kentridge Visualisierung) mehr bietet, und ein Sänger für „sein“ Album zusätzliche repräsentative Musik sucht? Er kramt. Findet passende Miniaturen aus der reichen Lied-Geschichte, etwa zum hochromantischen Thema „Wandern“, und stückelt seine eigene „Reise“ zusammen.
So gemacht haben es der Lungauer Bariton Rafael Fingerlos und sein Partner am Klavier Sascha el Mouissi. Fremde Heimat nennt er seine eklektische Expedition durch zwei musikalische Jahrhunderte und singt mit warmer Stimme und elegantem, erzählerischem Ausdruck das Reiselied von Mendelssohn, Mein Wagen rolltet langsam von Schumann und sogar – auf der Reise zum Ich – das Richard Strauss-Lied Zueignung.
Fast wäre mir seine Interpretation der Schubert'schen Winterreise, die er vergangenes Jahr etwa beim Diabelli Sommer gesungen hat, lieber. Warum sich die aktuelle CD von Raffael Fingerlos, neben der dokumentierten sängerischen Leistung, dennoch lohnt? Hören Sie die letzten beiden Tracks: Über allen Wipfeln ist Ruh von Albin Fries (der interessante Oberösterreichische Komponist böte sogar bereits einige komplette Liedzyklen!) und das von Fingerlos selbst arrangierte Kärntnerlied Deine Hand möcht i gspian. Die musikalische Form des Liedes spiegelt sich auch in unserem Volksliedgut. So schließt sich ein Kreis!