Mit flinkem Mundwerk gegen böse Zungen
CD-KRITIK / SOLLAZZO ENSEMBLE
14/02/18 Früher war alles besser, und zwar immer schon. Die E-Musik wurde offenbar auch schon seit je her von der U-Musik torpediert, auch im Florenz des 14. Jahrhunderts: Das in etwa ist der Inhalt der Motette „Musicha son / Gia furon / Ciascun vuol“ von Francesco Landini.
Von Reinhard Kriechbaum
Da wird, so erfahren wir aus jedem der drei übereinander geschachtelten Texte, die qualitätvolle Musik mit Füßen getreten. Die Opinion leaders, also „Cavalieri, baroni e gran signori“, haben sich damals leider für den niveaulosen Schlager entschieden. Die „Frottole“ war damals dieses Schreckgespenst der Wertkonservativen und Niveau-Bewussten. Ein jeder, so heißt es, glaube sich mit Caccie und Ballate (und wie das neumoderne Zeug damals hieß) ausdrücken zu müssen und das auch noch für gut und richtig zu halten...
Doch Kritiker an der herrschenden Moral bedienten sich manchmal selbst gerne genau dieser direkten, gleichsam unverblümt zur Sache kommenden Musikformen, um der besseren Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. Pop-Musik geht eben rein. Leute wie Francesco da Firenze oder Paolo da Firenze – beide im Brotberuf Mönche – haben als Liedermacher nicht gegeizt mit drastischen Bildern und deftigen Formulierungen.
Ein musikalisches Schlachtfeld also, auf dem moralische und ästhetische Wertvorstellungen aufeinanderprallten und durch Reibung nicht wenig Hitze erzeugten. Das spiegelt das Programm „Parle qui veut“ des Sollazzo Ensembles, einer sechsköpfigen Gruppe aus Spezialistinnen und Spezialisten für die Musik des späten Mittelalters und der Renaissance. Mit dem Projekt haben sie sich, erst ein Jahr nach Ensemblegründung, 2015 beim York Early Music Festival so nachdrücklich positioniert, dass Sie dort gleich drei Preise im Wettbewerb einheimsten und sich obendrein für das EU-Förderprogramm „eeemerging“ profilierten. Beinah logisch: Die im Vorjahr veröffentlichte CD-Produktion des Ensembles wurde nicht weniger preisüberhäuft (Diapason d'Or, Gramophone's Editor's Choice und CD of the Year von The Desk of Arts).
Mit einem Ohrenputzer sondergleichen geht es los, „Il megli_e pur tacere“, des Niccolo da Perugia. Freilich, g'scheiter den Mund halten – das passiert in dieser „Ballata minima“ gerade nicht, mit Bravour sondergleichen schleudern die beiden Soprane Yukie Sato, Perrine Devillers und der Tenor Vivien Simon ihre Wortkaskaden hinaus, mit mutigen Akzentuierungen und vorlaut-karikierendem Übermut. Mindestens so ergiebig wie die Auswahl der Stücke ist ja die enorme Virtuosität des Ensembles, dem noch zwei Fiedel-Spielerinnen (Sophia und Anna Danilevskaja) sowie der Harfenist Vincent Kibildis angehören. Sie alle sind stilkundig genug, um diese Musik in all ihrer rhythmischen Pointiertheit zu greifen, aber auch so offen, dass sie die Ausdrucksmöglichkeiten bis an die Grenzen ausreizen.
Das muss keineswegs in Turbulenz ausarten: Ein Gustostück ist „Le basile“ von Solage, einem Komponisten, von dem man biographisch rein nichts weiß. Da kriecht der Basilisk, dieses Fabeltier zwischen Schlange und Drache, im Spiegel der grundelnden Fiedeln und der Singstimme mit ganz wenig Umfang dahin, trotzdem nicht wenig bedrohlich. So, wie der Basilisk alles frisst, was ihm vors Maul kommt, kann's mit der Liebe auch geschehen.
All die hier versammelten Gesänge wollen belehren, bekritteln, ironisch oder gar sarkastisch aufräumen mit Gepflogenheiten, die den Moralaposteln der Epoche zuwider liefen. Nur 45 Minuten Musik in Summe, aber entschieden anspruchsvolle und in dem Sinn „schwere“ Kost, so frivol sie im Einzelnen daher kommt. Nichts wäre den singenden Weltverbesserern im Florenz um 1350 ferner gelegen, als den erhobenen Zeigefinger vor sich herzutragen. So hält es auch das Sollazzo Ensemble, das uns diese Belehrungen lustvoll und draufgängerisch entgegen schleudert.