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Unbekanntem auf der Spur

CD-KRITIK / MIRGA GRAŽINYTÉ-TYLA

10/05/17 Leider nicht mehr lange ist Mirga Gražinyté-Tyla am Salzburger Landestheater engagiert. In den nächsten Tagen und Wochen macht sie sich für litauische Landsleute stark – aber sie setzt sich, auf einer CD mit der Kremerata Baltica, auch für Mieczyslav Weinberg ein.

Von Horst Reischenböck

Seit dem Vorjahr ist Mirga Gražinyté-Tyla Chefdirigenten des City of Birmingham und damit in die Fußstapfen so renommierter Vorgänger wie Sir Simon Rattle und Andris Nelsons getreten. Bei den Londoner Proms lieferte sie mit diesem Orchester eine intensiv leuchtend grandiose Deutung von Pjotr Iljitsch Tschaikowskys Vierter Symphonie, zu recht durch „standing ovations“ bejubelt. Aber leider – wie so oft – wurde die Aufzeichnung auf dem Kontinent im Fernsehen erst spätabends ausgestrahlt.

Der Live-Mitschnitt eines Konzerts Ende April 2012 mit der Camerata Salzburg, das der Dirigentin mit Leonard Bernsteins Serenade nach Platons Symposion und der Jupiter-Symphonie von Wolfgang Amadé Mozart den verdienten Gewinn des Young Conductors Award der Salzburger Festspiele brachte, ist leider auch nicht mehr greifbar.

Ihre Affinität zu slawischer Musik stellte Mirga Gražinyté-Tyla im Juni 2015 in Riga unter Beweis, als sie sich im Studio des Lettischen Radios mit Gidon Kremers Kremerata Baltica für die Kammersinfonie Nr. 4 op. 153 von Mieczyslav Weinberg engagierte. Es ist das letzte vollendete Werk des 1996 Verstorbenen.

Weinberg, Pole jüdischer Abstammung, floh in die UdSSR. Da der Grenzbeamte seinen Namen nicht verstand, wurde er kurzerhand als Moise Vainberg eingebürgert. Er freundete sich mit Dmitrij Schostakowitsch an, mit dem er – beispielsweise was die Zahl an Streichquartetten betraf – in kollegialen Wettstreit trat. Genauso wie dieser litt er an den Repressalien der Stalin-Ära, wurde selbst inhaftiert und sein Schwiegervater ermordet. Im Westen wurde seine Musiksprache erst vor wenigen Jahren dank der Bregenzer Festspiele und eines Schwerpunkts bei den Wiener Festwochen auch international bekannt. Galt doch Weinbergs Musik gegen Ende seines Lebens sogar in der Wahlheimat als eher anachronistisch und gegenüber aufkommender Avantgarde als überholt.

Dem Gedenken an Schostakowitschs Tod widmete er seine 12. Sinfonie. Rechnet man die vier Kammersinfonien dazu, schrieb Weinberg nicht weniger als 26 Sinfonien. Die ersten drei Kammersinfonien, auf der vorliegenden Doppel-CD von der Kremerata Baltica ohne Dirigenten musiziert, sind relativ späte eigene Umarbeitungen von Streichquartettsätzen. Ähnlich jenen des Freunds Schostakowitsch, für dessen Arrangements allerdings mehrheitlich Rudolf Barschai verantwortlich zeichnete.

Die vierte Kammersinfonie, die Mieczyslav Weinberg seinem Komponistenkollegen Boris Tschaikowsky zueignete, stellt hingegen eine eigenständige Komposition dar. Die melancholische Thematik ist oft der von Mate Bekavac gefühlvoll geblasenen Soloklarinette überantwortet. Unter Mirga Gražinyté-Tylas Leitung entfalten die vier nahtlos aneinander gefügten, vornehmlich getragenen Sätze einen ganz spezifischen Reiz, wobei sie sich hörbar auf die Qualitäten der von Gidon Kremer als Konzertmeister angeführten Streichergruppe verlassen konnte. Die Rarität ist mit dieser Aufnahme zum ersten Mal zugänglich und des Hörens wert.

Mieczyslav Weinberg Klavierquintett op. 18 arr. für Streichorchester und Schlagzeug
Kammersinfonien Nr. 1 – 3 op. 145, 147 & 151 Kremerata Baltica, Ltg. Gidon Kremer
Kammersinfonie Nr. 4 op. 153 Dir.: Mirga Gražinyte-Tyla 2 CDs ECM NEW SERIES 2538/39
Drei Termine, die nicht versäumt werden sollten: Morgen Donnerstag (11.5.) wird Mirga Gražinyte-Tyla in einem vom Landestheater gestalteten musikalischen Spaziergang in Hellbrunn erstmals Kompositionen ihres bei uns auch bislang unbekannt gebliebenen Landsmanns Bronius Kutavičius aufführen. Dessen oratorisches Hauptwerk „Die Tore von Jerusalem“ wird am 19. Mai in der Kollegienkirche zur Österreichischen Erstaufführung gelangen. Am Samstag, 13. Mai, laden die Freunde des Mozarteumorchesters abends zu einem Treffpunkt mit der Dirigentin ins Orchesterhaus. – http://www.salzburger-landestheater.at/de/produktionen/von-wasser-und-steinen-2.html/m=76

 

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