So tobt es mit blauangelaufenem Kopf
MOZARTWOCHE / GERALD FINLEY, JULIUS DRAKE
01/02/13 Es müssen nicht immer Bächlein, Müllerburschen und wunderliche Krähen sein! Ein eitler Pfau, eine ängstliche Grille, ein hysterisches Perlhuhn dürfen es auch gern einmal sein. Oder gar ein Eisvogel: eine lebendige „große blaue Blume“, ein Wesen wie aus einer kostbaren alten Handschrift.
Von Heidemarie Klabacher
Der Bassbariton Gerald Finley und der Pianist Julius Drake machten das Publikum der Mozartwoche mit den Tieren aus Maurice Ravels Liederzyklus „Histoires Naturelles“ bekannt. Die Freude und die Begeisterung über dieses Kennenlernen (das es für viele Zuhörer tatsächlich gewesen ist) kannte keine Grenzen, der Jubel kaum ein Ende.
Fünf der unzähligen Tiergedichte von Jules Renard – im Programmheft mit einer hochpoetischen zauberhaften Übersetzung von Geneviève Geffray abgedruckt – bilden den Liedzyklus „Histoires Naturelles“, für den Maurice Ravel 1906 nach seinem Erscheinen gehörig gescholten und der Banalität verdächtigt wurde. Seltsame Vorwürfe! Zauberhafteres ist doch kaum denkbar, wie etwa die Schilderung der Dämmerstunde, in der sich auf der Angel des glücklosen Fischers ein Eisvogel niederlässt: „Ich hielt den Atem an, stolz, von einem Eisvogel für einen Baum gehalten zu werden. Und ich bin sicher, dass er nicht aus Angst entflog, sondern meinte, von Ast zu Ast zu fliegen.“ Man hielt den Atem an – quasi um den Vogel nicht zu erschrecken – während Gerald Finley diese Episode schilderte: in gold-schattigen Tönen, wie ein Maler auf einer abendrot grundierten Leinwand.
Auch der Schwan – „Le Cygne“ – gleitet zunächst „stolz auf dem Becken von Wolke zu Wolke“, begleitet von den glitzernden Zaubertönen, die Julius Drake dem Klavier entlockte. Doch dieses Gedicht nimmt alsbald jene Wendung ins Ironische, die feinsinnige Gemüter anno 1906 beleidigt haben mag: Der Pfau will die Spiegel-Wolken fangen, erwischt aber immer nur im Schlamm einen Wurm - und wird darob fett, wie eine Gans. Ein nervöses Tierchen ist die Grille: Beinahe nur flüsternd deklamierend, von Julius Drake im huschenden Pianissimo begleitet, erzählte Gerald Finley von der hektischen Betriebsamkeit und der stillen Panik in der kleinen Behausung: „Lange dreht es den Schlüssel im zarten Schloss um. Kein Alarm von draußen. Es fühlt sich trotzdem unsicher und kriecht tief in die Erde…“ Nur den Schlussvers - Stille herrscht oben auf der Erde, über den Pappeln - sang Finley mit ganzer Stimme, dabei immer noch im Piano. Ebenfalls ein Meisterstück an deklamatorischer Brillanz und stimmlicher Kontrolle – hier nun im Forte - war die Schilderung des Aufruhrs, den das hysterische Perlhuhn auf dem friedlichen Hühnerhof verursacht: „So tobt es mit blauangelaufenem Kopf und hochrotem Kehllappen von morgens bis abends."
Im ersten Teil der Liedmatinee standen Heine-Lieder von Schumann auf dem Programm, die Gerald Finley mit Textdeutlichkeit, deklamatorischer Eindringlichkeit und sängerisch-technischer Brillanz gestaltete: mit größter Intensität im Piano der tragischen Liebeslieder, mit größtem Understatement im Forte der dramatischen Balladen.
„Tragödie I und II“ aus op. 64 mit dem abgründig traurigen „Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht“; der dreiteilige Zyklus „Der arme Peter“ op. 53, in dem wieder einmal die Grete den Hans heiratet und der Peter im Grab den besten Platz findet; die Lieder, die zur Urfassung der „Dichterliebe“ gehört haben: Es scheint für Gerald Finley keine Grenzen zu geben, wenn es gilt, mit weich timbrierter und klangfarbenreicher Stimme vom Pianissimo aus, immer noch leiser und zugleich eindringlicher zu erzählen. Auch sein Registerausgleich ist immer perfekt, egal ob im Piano der introvertierten Lieder, oder in den Forteausbrüchen etwa der Balladen „Die feindlichen Brüder“ oder gar „Belsatzar“: Nicht nur dem König von Babylon und seinen Knechten standen die Haare zu Berge. Nur selten kommt die abgründige Ironie von Heinrich Heines Ballade „Die beiden Grenadiere“ so beißend daher, wie in Gerald Finleys Interpretation. Hier wird das zum mächtigen Forte gesteigerte Bekenntnis zum gefangenen Kaiser nicht versehentlich zur Hymne, hier wird der auf's Korn genommene Nationalitätenwahn deshalb umso greifbarer.