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Amerika. Psychiatrie. Schauspielschule

LITERATURFEST / LESUNG MEYERHOFF

23/05/16 „Amerika. Psychiatrie. Schauspielschule: Das ist doch eine gute Reihenfolge.“ Joachim Meyerhoff, Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters und des Deutschen Schauspielhauses, präsentierte beim Literaturfest am Samstag (21.5.) im republic den dritten Band seines autobiografischen Erzählzyklus' „Alle Toten fliegen hoch“ – den er dem dritten Stichwort zuordnet.

Von Ines Hickmann

Fast lückenlos liest Meyerhoff mit unverkennbarer Stimme im ebenso nahezu lückenlos gefüllten Saal am Anton-Neumayr-Platz aus seinem Buch namens „Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“. Grandios skurril kommen da die Schilderungen eines recht extravaganten und absonderlichen, großbürgerlich-großelterlichen Lebens(alp)traums daher, in dem jeder einzelne Tag einer sich wieder und wieder in derselben Weise wiederholenden Feier gleicht. Einer Feier, deren Ehrengäste auf die Namen „Moral“, „Disziplin“ und „Skurrilität“ hören.

Diese gutbürgerliche, „in Stein gemeißelte Zweisamkeit“ der Großeltern – die nebenbei von Alkoholkonsum, Liebenswürdigkeiten sowie Abscheulichkeiten verschiedenster Art, Kultiviertheit bis an den Rand der Perversion („Am Neujahrstag aßen meine Großeltern stets Schildkrötensuppe“), Zuneigung und gleichzeitiger Härte geprägt ist: All das wird vom Autor mit stets kritischem, immer aber auch liebevollem Blick, einer Vorliebe zum sonderbaren Detail, wie einer mitunter gehörigen Portion an Humor bis ins kleinste Detail beschrieben.

Wo Meyerhoff zu Beginn der Lesung noch Lacher im Sekundentakt erntet, mehren sich mit fortgeschrittener Zeit die Stellen, an denen dem Lachen ein Schlucken oder schlichte Stille weicht.

Denn neben aller Komik und Skurrilität geht es in Meyerhoffs Buch auch um Abschied, Flucht und Erschütterung, um „Überforderungen, Chaos und Unberechenbarkeit“. Abschied beispielsweise von der Kindheit, die der Protagonist auf dem Gelände einer Kinder- und Jugendpsychiatrie verbrachte, deren Direktor der Vater ist, vom geliebten mittleren Bruder, der bei einem Unfall ums Leben kommt, von der Jeder-kennt-jeden-Welt der norddeutschen Heimatstadt, schließlich von den „Schwesternwohnheimfantastereien“ und endlich auch noch vom Wunschtraum der ersten eigenen Wohnung in München.

Neben ungestüm, kräftig und direkt erzählten Begebenheiten aus aufreibenden, schmerzvoll-existenziellen Zeiten, klingen im zweiten Teil der dichten wie langen Lesung vermehrt auch zartere Töne an, die Offenheit und Mut zur Verletzlichkeit voraussetzen und sich elegant zwischen humorvolle und kraftvolle Passagen mischen. Unter anderem in der behutsamen wie eindringlichen Schilderung des Vorsprechens auf der Schauspielschule: „Vorsichtig sprach ich weiter, balancierte über das Seil meiner niedergehaltenen Trauer hinweg, bewegte mich behutsam von Wort zu Wort.“

Und schließlich trifft man, ebendort, auf Hoffnung: auf eine sich leicht abzeichnende Ahnung einer Möglichkeit, dem Überwältigtsein, der Fremdbestimmung und – vermutlich auch der „entsetzlichen Lücke“ – etwas entgegenzusetzen: „Die einen waren sichtbar, die anderen neigten zur Unsichtbarkeit. Als ich diesen Unterschied bemerkte, dachte ich, hier könntest du vielleicht ein Gesicht bekommen und nicht nur dieses vage Augen-Nase-Mund, ein richtiges Gesicht.“

Bilder: Literaturfest / Alex Hoerner

 

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